Hintergrundwissen "Entscheidungen: Intuition contra Verstand"
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Entscheidungen allgemein
Täglich treffen wir Entscheidungen - oftmals ohne es überhaupt zu wissen. Es sind jedoch viel mehr als man meint. Stündlich, ja minütlich müssen wir uns neu entscheiden, was richtig und gut für uns ist. Sollen wir einen Kaffee trinken oder doch lieber einen Tee. Zünden wir uns eine Zigarette an? Oder sollen wir verzichten? Sollen wir uns am Kopf kratzen, zuerst auf Toilette gehen oder beides gleichzeitig machen? Sollen wir heiraten? Den neuen Job wieder kündigen? Lieber Pizza oder Spaghetti bestellen?
Auch über andere Menschen müssen wir Entscheidungen fällen: Allein mit dem, was wir ihnen mitteilen und mit welchem Ausdruck wir das tun. Entscheidungen beziehen sich nicht nur auf wichtige
Entscheidungen wie z.B. die Entscheidung für oder gegen eine Operation, einen Bewerber oder den Kauf eines Hauses. Eine Entscheidung ist eine Wahl zwischen Alternativen oder zwischen mehreren
unterschiedlichen Varianten. Eine Entscheidung kann allein oder im Team erfolgen, sofort oder später umgesetzt werden.
Wenn Menschen von Entscheidungen sprechen, dann meinen sie damit zumeist Verstandes-Entscheidungen, die rational begründet und erklärbar sind. Es gibt aber auch intuitive Entscheidungen, die auf emotionaler Basis getroffen werden. Hier entscheidet das Gefühl und nicht der Verstand. Während wir rationale Entscheidungen in der Regel bewusst treffen, fällen wir emotionale Entscheidungen intuitiv und unbewusst, dafür aber bedeutend schneller.
Rationale Entscheidungen richten sich zumeist nach bereits abgesteckten Zielen oder vorhandenen Wertmaßstäben. Bei intuitiven Entscheidungen sind uns Ziele und Werte in der Regel gar nicht bewusst - manchmal geht es lediglich um Grundbedürfnisse, ums Überleben. Rationale Entscheidungen werden - sofern sie systematisch erfolgen - mit Pro-Contra abgeglichen und analytisch ausgewertet und es hängt von der Entscheidungskompetenz des Einzelnen ab, ob seine Pro- oder Contra-Entscheidung zum gewünschten Ziel führt.
Die Eigenschaft, ohne Verzögerung zu entscheiden und bei seiner Entscheidung zu bleiben, wird als Entschiedenheit bezeichnet. Es kann sich aber auch um Starrsinn handeln. Die menschliche Fähigkeit, eigene Entscheidungen zu hinterfragen und flexibel zu revidieren, hängt ab von der jeweiligen Intelligenz und von der Entscheidungskompetenz.
Viele Menschen beschäftigen sich mit der Frage, wie man eine optimale Entscheidung fällt. Schließlich möchten wir in der Regel keine Fehler machen, die wir später bereuen. Wir sind bestrebt, eine möglichst richtige Entscheidung zu reffen. Geht das - und wie geht das? Mit diesen Fragen beschäftigt sich die Entscheidungstheorie mit der Frage nach der optimalen Entscheidung. Oft ist es wichtig, die richtige Entscheidung zu treffen.
Treffen wir eine falsche Entscheidung, so kann uns das nicht selten teuer zu stehen kommen. Manchmal kann es uns sogar das Leben kosten. Von dieser Brisanz ist zugleich das Wort "Entscheidung" abgeleitet - und zwar vom Ziehen einer Waffe aus der Scheide. Folglich hat der Waffenträger den Kampf gewählt hat. Hier wird deutlich: Das Ergebnis einer Entscheidung kann uns "Kopf und Kragen kosten", ein ungünstiger Entscheid kann uns "teuer zu stehen kommen", sowohl in finanzieller als auch in gesundheitlicher Hinsicht. Von der richtigen Entscheidung hängt unsere Karriere ab, unser Beziehungsleben, unsere Sicherheit und unser Lebensglück.
Daher sei folgende Frage erlaubt: "Soll man sich in Bezug auf wichtige Entscheidungen nun bemühen, seinen Verstand einzuschalten oder sich lieber auf seine Intuition verlassen?"
Entscheidungen: Intuitiv oder besser rational?
Egal wie man sich entscheidet - oder zumindest glaubt, sich zu entscheiden: Die Gehirnforschung hat längst herausgefunden, dass die meisten Entscheidungen sowieso völlig automatisch und intuitiv bzw. unbewusst erfolgen.
Hinzu kommt das Problem mit unserer Wahrnehmung und den damit verbundenen Gehirnabläufen, die zu Wahrnehmungsverzerrungen und Wahrnehmungsfehlern führen. Kurzum: Vieles ist nicht so, wie man denkt. Unsere Wahrnehmung und unser Gehirn spielt uns hinsichtlich unserer Entscheidungen gewaltige Streiche. Eigentlich sind diese Streiche durchaus gut gemeint, schließlich basieren sie auf gehirnökonomischen Gesichtspunkten und helfen uns, Energie zu sparen - und genau das zu tun, was wir eigentlich immer schon wollten: Unser Glück, unseren Traumpartner finden, bestimmte Ziele erreichen, den Erfolg usw.
Diese "Hilfe" geht aber leider nicht immer auf. Warum ist das so?
Ganz einfach: Wenn uns z.B. früher jemand eingeredet hat, dass wir in gewisser Hinsicht wahrscheinlich versagen oder gar früh sterben, richtet sich unser Gehirn genau darauf ein. Unser Gehirn
merkt sich nämlich auch Kleinigkeiten und richtet sich demnach aus. Was daraus resultiert erklärt die Psychologie mit dem Phänomen der sogenannten Selbsterfüllenden Prophezeiung, auch Rosenthal Effekt genannt. Ein ähnlicher Effekt ist der sogenannte Pygmalioneffekt oder der
Skalierungsfehler in Form der teils unbewussten Veränderung einer Messskala entsprechend der eigenen Erwartungshaltung. Zumeist wird die Skalierung so verschoben, dass sich die eigene Erwartung schließlich erfüllt. Das
eigentliche (bewusste) Bestreben nach einem korrekten analytischem Urteil wird damit ganz einfach wieder über unbewusste Prozesse zunichte gemacht. Natürlich funktioniert der Effekt auch anders
herum: Im Positiven wird das mit der sogenannten Selbstwirksamkeitserwartung erklärt.
So viel erst einmal zur Psychologie. Die Gehirnforschung weiß noch viel mehr:
Wenn wir glauben, gerade eine Entscheidung zu treffen (z.B. spontan einen Kaffee zu trinken oder beim Überqueren einer Straße plötzlich anzuhalten), dann ist diese Entscheidung gar nicht so neu wie wir glauben. Unser Gehirn hat diese Entscheidung nämlich schon kurz vorher oder sogar viel früher getroffen - ob im Positiven oder im Negativen, ob uns das nun lieb ist oder eher weniger. Selbst wenn es sich dabei manchmal nur um wenige Millisekunden handelt. Die Entscheidung war da, bevor wir sie bewusst getroffen haben.
Manchmal treffen wir sogar Entscheidungen, die wir eigentlich bereits in unserer Kindheit gefällt haben. Die Basis für solche Entscheidungen haben wir und andere in uns längst programmiert (z.B. durch einzelne und insbesondere regelmäßige Gedanken, durch Gespräche, durch bloßes Zuhören, durch Filme, durch Ängste und Erfahrungen).
Derartige "Programme" schreiben wir in der Regel unbewusst. Es gibt aber auch Menschen, die Techniken anwenden, solche Programme ganz bewusst zu schreiben. Sie nutzen Techniken, die sie selbst oder auch andere zu bestimmten Entscheidungen führen, die dann letztendlich zu realen Handlungen und / oder entsprechenden Erlebnissen und Erfahrungen werden. Beispiele: Neurolinguistische Programmierung (NLP), Psychotherapie, Hypnose, Selbsthypnose, Autogenes Training, Glaubenssätze, Visualisieren bzw. Kreatives Visualisieren, Träumen bzw. bewusstes Träumen, Sich bedanken (Dankbarkeit), Texte schreiben, bestimmte Filme sehen, bestimmte Audioaufzeichnungen hören, Rollenspiele und Simulationen usw.)
Aufgrund von Erfahrungen lagern in unserem Unterbewusstsein ungeheure Wissensschätze, aus denen man täglich schöpft, ohne es zu merken. Wer es versteht, dieses unbewusste Wissen freizulegen oder
gar positiv zu beeinflussen, kann wahre Wunder vollbringen. In unserem Unbewussten können jedoch auch viele Informationen schlummern, die uns eben nicht einträglich sind - schließlich haben wir
zumeist ebenso viele Dinge gelernt, die unser Vorwärtskommen eher stören - ebenso positive Entscheidungen. Das tun sie allein über bestimmte Prognosen und Erwartungen, die zu einer ganz bestimmten Erwartungshaltung führen. Daraus resultieren dann sogenannte Erwartungsfehler.
Manche Menschen sind aufgrund ihrer Erfahrungen, ihres falsch gelernten Wissens und aufgrund falscher Erwartungen sogar derart ungünstig gepolt, dass die Tendenz zu falschen Entscheidungen überwiegt. Der Mensch entscheidet sich dann folglich immer so, dass sich die Erwartungen erfüllen und es ihm anschließend eben nicht gut geht. Schließlich sollen sich die Erwartungen erfüllen - so unser Gehirn. Alleine schon deshalb, weil wir nicht an uns selbst zweifeln und uns quasi eben nicht für dumm oder verrückt halten wollen (siehe u.a. Selbstwert-Effekt).
Man entscheidet sich dann so, dass sich das, was man sowieso bereits glaubt, möglichst bestätigt. Über das entsprechende Phänomen der Selbsterfüllenden Prohezeiiung wurde bereits oben berichtet. In dieser Hinsicht spricht man auch vom sogenannten "Gesetz der Anziehung". Mit Glück und Zufall hat das nichts zu tun. Das Gesetz basiert auf einer sehr einfachen Regel: "Gleiches zieht Gleiches an". Positive Gedanken und Erfahrungen ziehen folglich weitere positive Gedanken und Erfahrungen an, während negative Gedanken und Erfahrungen eben weitere negative Gedanken und Erfahrungen ins Leben rufen.
Eine Person, die jahrelang mit einem Alkoholiker zusammengelebt hat und häufig von ihm beleidigt und geschlagen wurde, wird (wie Untersuchungen zeigen) nach einer Trennung bei ihrer nächsten
Partnerentscheidung dahin tendieren, sich wieder erneut für einen ähnlichen Typ Mensch zu entscheiden. Manchen erscheint so etwas unlogisch und nahezu unglaublich. Das ist es auch - aber genau so
funktioniert der Mensch, wenn es ihm auch selbst gar nicht bewusst ist er diesbezüglich eben nicht bewusst gegensteuert.
Die meisten unserer Entscheidungen basieren auf Wissen, das sich über Jahre und Jahrzehnte in unserem Gehirn abgelagert hat. Dieses Wissen ist uns eigentlich unbekannt. Bei Entscheidungen -
insbesondere bei intuitiven Entscheidungen - greifen wir auf dieses Wissen zurück. Wir nennen es dann unseren "sechsten Sinn" oder das "Bauchgefühl". Wenn wir eine Intuition haben, erfolgt dies
über den Abruf von Informationen, die wir irgendwann einmal über unsere fünf Sinne wahrgenommen und im Gehirn gespeichert haben. Dahinter steckt die Erkenntnis der Kognitionsforschung, dass
Menschen den Lernprozess ihres Gehirns nicht unterbrechen können. Er läuft permanenten im Hintergrund weiter.
Zudem läuft dieser Prozess schneller als wir es uns bewusst vorstellen können. Wenn wir bewusst entscheiden, über eine Straße zu laufen, hat unser Gehirn im Unterbewusstsein längst schon diese Entscheidung getroffen, alle eingehenden Informationen gecheckt und völlig unbewusst mit den im Gehirn bereits vorliegenden Informationen abgeglichen. Pro Sekunde wird der Mensch mit mindestens etwa elf Millionen Sinneswahrnehmungen "bombardiert" - selbst dann, wenn man einfach nur so da sitzt und es sich gut gehen lässt. Die meisten Informationen bekommen wir gar nicht mit. Das meiste verarbeiten wir, ohne dass das unser Bewusstsein irgendetwas davon mitbekommt. Wenn wir alles bewusst mitbekommen wären, wären wir völlig überfordert. Unser Gehirn schaltet dann ohne Nachdenken auf eine völlig andere Situation um. Es erkennt plötzlich Zusammenhänge, Formen, Probleme oder Lösungen.
Im Allgemeinen vertrauen Menschen insbesondere bei schwierigen Entscheidungen mehr ihrem analytischen Verstand als ihrer Intuition. Die meisten Menschen halten es für unrealistisch, von grenzenlosem Wissen des Universums, erst Recht von grenzenlosem Wissen in ihrem eigenen Kopf auszugehen. Andererseits sind Menschen davon überzeugt, dass sie mit mehr Zeit und mehr Logik bessere Entscheidungen treffen würden. Dass diese Einschätzung jedoch nicht zwingend richtig ist, hat u.a. ein Heidelberger Psychologe in einem Experiment nachgewiesen. Er ließ seine Probanden von einem Nachrichtenticker die Kursentwicklungen fünf verschiedener Aktien laut ablesen während ihre angebliche Hauptaufgabe darin bestand, ebenfalls auf dem Monitor gezeigte Werbespots zu beurteilen. Im Ergebnis konnten die Probanden nachfolgende Fragen zu den Aktien nicht beantworten. Erst als sie frei von Informationen über die Aktien sprechen konnten, waren die Probanden in der Lage, die Aktienkurse richtig zu beurteilen.
Das Experiment hat gezeigt, dass Verzicht auf bewusstes Wissen durchaus einen Vorteil darstellen kann. In manchen wichtigen Situationen fehlt sogar die Gelegenheit, bewusst und analytisch zu handeln (z.B. notärztliche Versorgung von Unfallopfern). Zu viel Nachdenken kann gefährlich sein und wichtige Zeit kosten. Rationales Kalkül ist fehleranfällig. Manchmal kann es helfen, weniger zu denken und intuitiv zu handeln.
Insofern braucht unser Verstand quasi einen unbewussten Berater, der schnell und stetig im Hintergrund zur Stelle - und darüber hinaus sehr kompetent ist. Einen Berater, der nicht auf Einzelheiten fixiert ist, sondern in Bruchteilen von Sekunden Muster und Zusammenhänge herstellt. Doch unser Denken kann man nicht einfach abstellen. Insbesondere dann, wenn man aus vielen Optionen in relativ kurzer Zeit eine passende und möglichst richtige Option auswählen muss, ist unsere Intuition sehr hilfreich.Und manchmal ist auch unser Gefühl ebenso trügerisch. Schließlich hängt alles von der Qualität der vorher gesammelten Informationen ab und wie wir diese verarbeiten und kombinieren. Auch hängt vieles davon ab, wie wir beobachten und wahrnehmen. Bei allem, was wir wahrnehmen und verarbeiten, unterliegen wir Fehlern (z.B. Wahrnehmungsfehler). Diese sind gewaltiger als wir uns das vorstellen. Dennoch kann auf analytisches Denken nicht verzichtet werden. Die Qualität ist jedoch entscheidend.
Bewusste rationale Entscheidungen treffen wir in unserer linken Gehirnhälfte, die unser Bewusstsein verwaltet und für konzentriertes analytisches Denken verantwortlich ist. Intuitive
Entscheidungen fällen wir hingegen in unserer rechten Gehirnhälfte. Sie agiert irrational, gefühlsbezogen, ganzheitlich, intuitiv. Welche Gehirnhälfte sollten wir bemühen, wenn wir selbst
entscheiden könnten, wie wir bei Entscheidungen vorgehen?
In der Praxis zeigt sich, was in Experimenten nachgewiesen wurde: Vor allem Profis bzw. Experten profitieren oft mehr von der Arbeitsweise ihrer rechten Gehirnhälfte, selbst dann, wenn sie ihrer Intuition vor einer Entscheidung weiterhin misstrauen.
Entsprechende Experimente und Umfragen zeigen: Sie sind mit intuitiv getroffenen Entscheidungen im Nachhinein zufriedener als mit den Resultaten langen Nachdenkens.
Warum das so ist, wurde in vielen Experimenten nachgewiesen. So zeigte z.B. ein Sportpsychologe geübten Handballern kurze Videoausschnitte eines Handballspiels und ließ sie spontan eine Reaktion nennen, die sie in der jeweiligen Spielsituation am sinnvollsten fanden. Dann wurden die Handballer gebeten, in Ruhe zu überlegen, ob es nicht noch andere und bessere Alternativen gebe. Anschließend wurden die Entscheidungen von mehreren Profi-Trainern (Nationaltrainern) beurteilt. Das Ergebnis: Die intuitiv getroffenen Entscheidungen waren demnach die klügeren und besseren Entscheidungen. Je länger die Probanden nachdachten, desto schlechter waren ihre Vorschläge. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam auch ein Experiment mit Schach-Profis, in dem die Partien von 120 Spielern ausgewertet wurden. Das Ergebnis des Experimentes der Michigan State University: Die Spieler, die für jeden Zug lediglich siebeneinhalb Sekunden Zeit hatten, spielten genauso gut wie in zeitlich unbegrenzten Partien.
Aus dieser und ähnlichen Untersuchungen resultiert zugleich die Erkenntnis, dass ein Theorietraining mit allen möglichen Handlungsalternativen nicht so viel bringt wie das Sammeln von so viel
Praxiserfahrung wie nur möglich. Dabei geht es darum, so viel intuitiven Wissensschatz abzuspeichern wie nur möglich. Zurück zum Handball: Wenn ein Ball mit 30 Metern pro Sekunde angeflogen
kommt, bleibt ohnehin nicht viel Zeit zum Überlegen. Ein Profi-Spieler, der sich in derartigen Situationen auf seine Intuition verlässt, bei der er auf einen umfangreichen Erfahrungs-Schatz
zurückgreifen kann, ist hier deutlich besser beraten als jener, der alle möglichen Theorien lernt und analytisch vergleicht.
Dieses Konzept lässt sich auch auf das Management von Unternehmen übertragen. Dennoch funktioniert auch hier die Übertragung nur, wenn entsprechende Erfahrungen grundsätzlich vorhanden sind und
diese Erfahrungen von guter Qualität sind. Dabei geht es aber nicht nur um konkrete berufliche Erfahrungen und Branchenerfahrung: Manchmal kann eine ähnliche Erfahrung aus einer ganz anderen
Branche sehr nützlich sein, um entsprechend querdenken zu können. Wie sagte bereits Antoine de Saint-Exupéry: "Um
Klarzusehen genügt ein Wechsel der Blickrichtung".
Kaum ein Gebiet ist bekannt, in dem nahezu alle Menschen Experten sind. Eine Ausnahme bildet hingegen die Erkennung von Gesichtern. Hier sind Menschen in der Lage, die Mimik ihrer Mitmenschen sehr exakt zu lesen und die Stimmung ihrer Gegenüber blitzschnell einzuschätzen, sogar in höchst komplexen Mustern.
Um zu untersuchen, ob Menschen, die sich auf intuitive Entscheidungen verlassen, damit besser liegen als Menschen, die um rationale Entscheidungen bemüht sind, kann man sich u.a. anschauen, wie zufrieden Menschen mit bestimmten konkreten Entscheidungen sind, zumindest dann, wenn man den Effekt der kognitiven Dissonanzreduktion und entsprechende Selbstwertdienliche Verzerrungen - soweit dies überhaupt geht - entsprechend mit berücksichtigt. Ob Letzteres hier erfolgt ist, kann aktuell nicht gesagt werden. Dennoch: Am Swarthmore College in Pennsylvania hat man generell festgestellt, dass intuitive Menschen, die sich vor einer Entscheidung mit wenigen Informationen begnügen können, wesentlich zufriedener sind: Nicht nur mit ihren Entscheidungen selbst, sondern insgesamt mit ihrem Leben. Darüber hinaus sind laut den Ergebnissen der Untersuchung optimistischer als jene Menschen, die stets auf der Suche nach genaueren Daten sind. Das liegt wohl auch daran, dass Menschen mit höherem Selbstzweifel und Hang zum Perfektionismus eher zu Depressionen neigen.
Obgleich fast alle Entscheidungen überwiegend unbewusste intuitive Entscheidungen sind und auch Einstein bewusst darauf setzte als er sagte: "Alles, was zählt, ist die Intuition", muss man mit
seiner Intuition aufpassen. Wenn ein Experte wie Einstein so etwas sagt, wird er für sich damit Recht behalten. Er war Experte und er war psychisch gesund, zumindest ist nichts Gegenteiliges
bekannt. Menschen, die ihre Experten-Informationen hingegen überwiegend in Vergügungsparks, bei Fastfood-Ketten, beim Chatten oder in der Werbung sammeln, sollten damit jedoch ebenso vorsichtig
sein, wenn sie auf Intuition setzen. Darauf setzt höchstens die Werbung und raffiniertes Marketing, um genau dieser Zielgruppe möglichst viel abzugewinnen. Menschen mit Persönlichkeitsstörungen und psychischen Störungen bekommen ebenfalls Probleme (bzw. neue Probleme) wenn sie sich auf eine Intuition verlassen, die auf Informationen im Gehirn basiert, die nicht zwingend richtig oder passend bzw. für sie eigentlich gar nicht zuträglich sind.
Wer durch irgendwelche dummen Umstände im Leben früher einmal gelernt hat, dass er sich in bestimmten Situationen
schämen muss, wird bei intuitiven Entscheidungen eben nicht den vielleicht wertvollen wichtigen Kontakt suchen, sondern sich eher entscheiden, zu Hause zu bleiben und sich zu schämen. Intuition
ist eben nicht für alle das, was zählt.
Eigentlich darf die Frage nicht lauten, ob man sich auf seine Intuition verlassen sollte, sondern in welchen konkreten Situationen wir uns auf unsere Intuition verlassen sollten. Die Erfahrung,
die ein Mensch auf einem bestimmten Gebiet gesammelt hat, ist dabei lediglich ein Kriterium von vielen.
Manchmal gilt es, den Blick auf Einzelheiten zu richten bzw. einen Zusammenhang ohne Vernachlässigung der Details herzustellen (z.B. Richters) - manchmal gilt das Ganze. Manchmal gilt es,
seiner Entscheidung lediglich ein "Ja" oder ein "Nein" abzufordern. Bei einer richterlichen Entscheidung verbietet sich eine reine Bauchentscheidung von selbst. Ein Richter wäre kein Richter,
wenn er zugeben würde, ein Urteil intuitiv gefällt zu haben. Dennoch tut er genau dies, jedoch ohne es zu wissen. Erv tut es, obgleich er es vehement zu verhindern such.
Auch ein richterliches Urteil steht bereits fest, bevor es überhaupt gesprochen wurde. Schließlich hat auch ein Richter nur ein Gehirn und die Gehirne aller Menschen arbeiten nach den gleichen
Prinzipien und Regelwerken. Dennoch darf sich ein Richter nicht auf dieser Erkenntnis ausruhen. Vielmehr: Er muss bestrebt sein, über sein Bewusstsein und die Bewusstmachung der Problematik gegen
seine Intuition anzugehen. Genau hier liegt aber ein weiteres Problem. Wie man es auch dreht und bemüht ist. Es ist schwierig eine rein analytische Entscheidung rein auf Basis des Sachverstandes
herbeizuführen. Richter bedienen sich daher unterschiedlichen Zeugen und Gutachter. Ganz nach dem Motto: "Mehrere Gehirne sind besser." sindes manchmal mehrere Richter, die an einem Urteil
arbeiten. Aber auch hier hat die Sozialpsychologie gezeigt: Die Anwesenheit anderer -sogar die reine Vorstellung davon - beeinflusst das Urteil erheblich, sowohl in die eine oder die andere
Richtung.
Je nach persönlichen Erfahrungen kann unsere Intuition sehr trügerisch sein. So könnte z.B. die Intuition einen Richter dazu verleiten, jemanden einer Tat zu verdächtigen, weil dessen Verhalten oder Aussehen ihn an frühere Angeklagte erinnert oder er ähnliches Verhalten aus einem anderen Fall kennt. Wahrnehmungsfehler nennt man derartige Phänomene, die man nicht einfach so abstellen kann. Dabei handelt es sich nicht etwa - wie viele es oft verwechseln - um Wahrnehmungsstörungen, denen nur Menschen mit einer bestimmten psychischen Konstitution unterliegen. Wahrnehmungsfehler betreffen alle Menschen - insbesondere jene, die an ihre Fähigkeiten und ihr Urteilsvermögen glauben.
Wahrnehmungsfehler haben iweniger mit der Sinneswahrnehmung an sich zu tun, wie man früher glaubte: Sie passieren überwiegend im Gehirn. Stets hört man, dass man bei derart wichtigen Entscheidungen wie Richter sie treffen, seinem intuitiven Übereifer vehement und strategisch entgegenwirken und stattdessen sachlich analysieren soll. Einfach ist das nicht. Auch bei Analysen gilt: Wahrnehmungsfehler bleiben immer. Immer bleibt ein "Restrisiko" - und das ist größer als viele meinen. Dieses Risiko beginnt bereits bei der Informationseinholung und Beobachtung (des Sachverhaltes oder einer Person). Sie setzen sich über die Encodierung (Informationsentschlüsselung im Gehirn) fort. Auch gegen ganz normale Denkfehler ist kein Richter immun. Dennoch: Beste Kenntnisse über mögliche Beobachtungsfehler und Wahrnehmungsfehler sowie sachliche Analysen sind hier wichtig und geradewegs notwendig, um überhaupt einigermaßen gerechte Urteile fällen zu können.
Auch andere Profis folgen dieser Regel. Für Fehler bei Personalauswahlentscheidungen gibt es das sogenannte ib reality view & proof concept, das zum Zwecke der beruflichen Eignungsdiagnostik - aber auch zuanderen diagnostischen Zwecken - eingesetzt werden kann. Im Wesentlichen geht es u.a. darum, die Intuition von Entscheidern komplett auszuklammern, dafür aber die Intuition der zu testenden Personen zu nutzen.
Die Auswahl erfolgt im Prinzip über eine Art unbewussten Selbsttest, bei dem bestimmte Gehirnareale angesprochen werden, die sich dann praktisch öffnen, wobei Denken sichn in Verhalten zeigt. Kurzum: Menschen denken laut. Für die Tester kann dies sehr anstregend sein. Sie brauchen eine gute psychische Konstitution und ein festes Weltbild. Genau das gerät nämlich schnell ins Wanken z.B. wenn ein solcher Tester hört, was jemand wirklich laut denkt. Das kann schon mal sehr schrill anmuten und dem Gegenüber nicht wirklich gut tun.
Die Testung, welche die Kandidaten im Prinzip kaum bewusst mitbekommen, führt zu einem bestimmten Handeln, das der Tester sehen und messen kann. Der Getestete selbst bekommt hingegen gar nicht
mit, was er da gerade sagt oder schreibt. So wird aus einem Bewerber, der zum Schein bzw. zum Zwecke der Eigenwerbung eigentlich schreiben will "Ich bin ein regelrechtes Kommunikationstalent mit
analytischem Sachverstand, besten Umgangsformen und ausgeprägten sozialen Kompetenzen" plötzlich jemand, der handelt wie er denkt. Der Bewerber schreibt dann: "Mein bisheriges berufliches Leben
war ein Desaster. Deshalb erwarte ICH Wertschätzung statt Leistungserbringung.", "Ich will diese Stelle eigentlich gar nicht." oder "Leken si mik ahm A...So ein Schei... hap ich nischt nöttig"
oder "Bereits eine Seite Text zu lesen und zu verstehen ist mir zu viel. Es geht mir doch nur um das Geld, nicht aber um die Arbeit."Dazu ist zu sagen, dass das ib realityview & proof concept
schwerpunktmäßig bei Bewerbern auf Führungspositionen angewendet wird.
Was sich für den Laien schier unglaublich liest, ist bei Anwendung der vielzähligen Techniken nach dem ib reality view & proof concept die oft bittere Realität. Sie ist aber wichtig, um eine
klare Entscheidung treffen zu können. Nach dem ib reality view & proof concept trifft diese der Kandidat selbst. Er schreibt dann z.B.: "Hiermit ziehe ich meine Bewerbung zurück".
Selbst in der Kunst werden Techniken angewandt, die Fehler aufgrund intuitiver Fehlerquellen vermeiden sollen. Professioneller Maler stellen z.B. manchmal ein Gemälde auf den Kopf, wenn sie
konkrete Einzelheiten eines Gesichts zeichnen wollen. Damit verhindern sie, dass ihr Gehirn in bereits wenigen Pinselstrichen sofort ein Ganzes erkennt, statt sich z.B. auf den korrekten Schwung
der linken Nasenlinie zu konzentrieren. Wann kann man seiner Intuition vertrauen?
Seiner Intuition vertrauen, kann man bei Alltagsentscheidungen, bei denen der Mensch Details vernachlässigen darf und man auf Wissen aus erster Hand zurückgreifen kann. Zugleich ist dann auch die
Gefahr am niedrigsten, dass sich Vorurteile durch manipuliertes Wissen einschleichen.
So sicher, wie jeder aus unverfälschter, selbst gewonnener Erfahrung ein Gesicht lesen kann, so manipulativ kann Wissen aus Büchern oder vom Hörensagen wirken. John Darley, Psychologe an der Princeton University zeigte dies sehr eindrucksvoll. In seinem Experiment von 1983 bat er zwei Gruppen von Probanden, spontan ein Mädchen zu beurteilen. Während die eine Gruppe das Mädchen für intelligent, aufgeschlossen und begabt hielt, beurteilte die andere Gruppe das Mädchen als gehemmt, schwierig und lernschwach. Was steckt dahinter? Beide Gruppen hatten vor dem Test andere Informationen über die Herkunft des Mädchens erhalten. Dadurch haben sich Vorurteile gebildet, die dann ganz automatisch zu einer bestimmten Wahrnehmung und Beurteilung führen.
Ähnlich ist dies bei allen Entscheidungen, in der sich eine Intuition Wissensbruchstücken aus zweiter Hand bedienen muss. So meinen z.B. die meisten Japaner, Heidelberg sei größer als Bielefeld,
allein deshalb, weil Japaner die Stadt Heidelberg vielleicht vom Hören und Sagen (z.B. als Tourist aus dem Reiseführer) kennen, Bielefeld aber kaum in internationalen touristischen Reiseführern
erscheint.
Die Stadt ist unbekannter, daher also vermutlich kleiner, so der intuitive Trugschluss.
Die Quelle und Qualität des Wissenserwerbs, welcher zur Entscheidungsfindung beiträgt, ist folglich sehr entscheidend, alternativ die eigene Erfahrung. Den Trugschluss, den man aus der
praktischen Faustformel "Nimm das Bekannte!" ziehen kann, kennen viele z.B. vom Rate Quiz oder von Multiple-Choice-Tests. Am Sichersten fühlt man sich bei einer Antwort, die man bereits irgendwo
einmal gehört hat.Genau damit werden wir oft hereingelegt. Das Priming, das - wie andere Wahrnehmungsfehler auch - als regelrechte Technik zum Beispiel in der Werbung und im Marketing genutzt
wird, ist ein weiteres Beispiel. Bestimmte Wörter oder Assoziationen, die wir zuvor hören, führen zu einem bestimmten Verhalten. Im Verkauf bezieht sich das idealerweise auf die Kaufentscheidung
des Kunden, die durch viele unterschiedliche Techniken vehement beeinflusst wird.
Sofern die Qualität der eigenen Erfahrung gut ist, laufen Entscheidungen auf Basis dieser eigenen Erfahrungen ebenso gut. Dennoch ist man niemals vor einer verzerrten Wahrnehmung durch fehlende
Bruchstücke seines unbewussten Wissens gefeit, ebenso wenig gegen die vielen anderen Verblendungen, mit denen das Unbewusste die Wahrnehmung verändert. So ist das, was wir sehen, stets
stimmungsabhängig undabhängig von unserer aktuellen psychischen Konstitution. Nicht nur der bekannte Rorschach Test zeigt dies deutlich auf. Wer sich nicht - wie ein Richter - selbst ständig zur Sachlichkeit mahnt, nimmt, wenn er zum Beispiel traurig
ist, eher Dinge wahr, die exakt zu seinem Gemütszustand passen. Bestimmte Stimmungen wie z.B. Angst können die Faktenlage sogar völlig verdrehen. So starben z.B. nach den Terroranschlägen vom 11.
September 2001 in den USA 1500 Menschen mehr als üblich in einem Jahr bei Autounfällen. Ihr Unterbewusstsein suggerierte den menschen damals, dass Autofahren sicherer sei als Fliegen.
Wer meint, dass gegen derartige intuitiven Täuschungen und Fehlschlüsse eine gute Selbstbeobachtung und Ermahnung
zur Sachlichkeit reicht, hat weit gefehlt. Gegen Wahrnehmungsfehler und intuitive "Rohrkrepierer" kann
man sich in Wirklichkeit nicht wirklich schützen. Auch wenn viele es meinen und dabei sogar an besondere Fähigkeiten wie z.B. ihre gute Beobachtungsgabe oder ihre Menschenkenntnis glauben: Einen
intuitiven Sensor dafür, ob unsere Wahrnehmung nun verzerrt ist oder wir klar sehen, gibt es nicht. Intuition wird hier zur Falle. Dies bezieht Menschenkenntnis und Beobachtungsgabe mit ein.
Allein der Glaube daran - noch schlimmer das eigene
Überzeugtsein davon, birgt enorme Gefahren. Mit unserer
Moral ist es nicht anders. Selbst unsere eigenen Erinnerungen sind nicht immer real.
Besonders leicht tappt der Mensch in diese Falle, wenn es nicht um einen äußeren Sachverhalt, sondern um ihn selbst geht. So glauben bei ihrer Hochzeit die meisten Paare fest daran, dass sie
einen Bund fürs Leben schließen, obwohl den meisten von ihnen die aktuelle Scheidungsrate bekannt ist. Insbesondere wenn es von vorne herein um Gefühle wie Liebe geht, handeln alle Menschen
völlig intuitiv. Was wäre Liebe gepaart mit rationalem Kalkül, wenn man bei der Auswahl seines Lebenspartners versucht, alle möglichen Konsequenzen abzuwägen, mit dem analytischem Sachverstand
eines Controllers Zahlenwerte zuordnet, diese addierte und sich dann für den höchsten Wert entscheidet? Allein unsere Moral würde uns daran hindern - und manchmal ist es auch besser so.
Was wäre, wenn alle Menschen nur richtige Entscheidungen treffen würden? Manchmal sind es gerade die falschen Entscheidungen, die in uns lehrreich nachwirken, die uns als Mensch und Persönlichkeit wachsen lassen. Bedeutet Erfolg nicht auch mit all diesen Fehlentscheidungen adäquat umzugehen und für die Zukunft daraus zu lernen?