Hintergrundwissen "Erwartung & Erwartungsfehler"

Mehrwert-Infos für Vielleser, Mehrwisser, Besserwisser

Erwartung

Erwartung bezeichnet in der Psychologie und Soziologie die Annahme, was jemand (ein anderer oder mehrere andere) in Zukunft tun würde oder sollte. Erwartung ist zugleich die vorausgenommene prognostizierte Annahme eines Ereignisses oder Zustandes. Selbst sachliche Prognosen sind, sofern durch Menschen erfolgen, stets mit einer unbewussten Erwartung (Erwartungsfehler) verbunden.

 

Konkrete Erwartungen stehen in einer Verbindung mit einer bestimmten (bewussten oder unbewussten) Erwartungshaltung sowie mit mit individuellen Wahrnehmungs- und Denkmustern, die sich auf das Erwartete und die Wertung des Erwarteten übertragen. Die Übertragung bezieht sich auf das Eintreffen der Erwartung sowie die Wertung des Erwarteten.

 

Individuelle Erfahrungen, Wünsche, Bedürfnisse und Wertvorstellungen der Person, die etwas erwartet, spielen eine ebenso große Rolle wie die konkrete Ausprägung der jeweiligen Erwartung sowie der Glaube an die Erfüllung oder das eigene (sachliche oder naive) Weltbild in Sachen Erwartungs-Erfüllung an sich.

Erwartungsfehler

Erwartungsfehler beziehen sich auf unsere Wahrnehmung und zählen zu den Wahrnehmungsfehlern. Der Erwartungsfehler tritt in der allgemeinen Wahrnehmung und in der Selbst- und Fremdwahrnehmung (Personenwahrnehmung) auf.

 

Sowohl eine bestimmte allgemeine Erwartungshaltung als auch bestimmte konkrete Erwartungen sowie das Maß dieser Erwartungen prägen die Tendenz und Ausprägung der Wahrnehmung sowie die entsprechende Einschätzung und Wertung. Unsere Erwartungen beeinflussen nicht nur die kognitive Informationsverarbeitung, sondern bereits die Güte der Informationsaufnahme bei der Beobachtung.
 
So wird z.B. die Einschätzung der Leistung einer Person von Erfahrungen mit vorangegangen Leistungen dieser Person beeinflusst. Ebenso wird das Gefühl von Glück und Zufriedenheit von der jeweiligen Erwartungshaltung und dem konkreten Maß der Erwartung beeinflusst. Auch das Selbstwertgefühl und die Bewertung von Leistungen und Erfolgen hängt von Erwartungen ab u.a. davon, a) welche Ansprüche (Erwartungen) man selbst an sich stellt, b) welche Erwartungen andere an einen stellen und diese äußern, c) welche Erwartungen anderen Anwesenden (die sich nicht äußern) zugeschrieben bzw. unterstellt werden und d) welche Erwartungen Menschen haben, die Leistungen messen und Erfolge bewerten.

Menschen gehen mit einer bestimmten Erwartungs- und Anspruchshaltungen an eine Sache, einen Zustand, ein anstehendes Ereignis oder an Personen heran. Diese Erwartungshaltung bezieht sich zumeist auf vorausgegangene Erfahrungen und die Übertragung dieser Erfahrung auf die Zukunft (Prognose).

 

So erinnert sich z.B. ein Personalentscheider an bestimmte Erfahrungen mit Bewerbern allgemein oder mit bestimmten Bewerber-Typen und koppelt diese Erfahrung an die Annahme/Prognose aktueller Bewerber. Er ist damit von vorne herein grundsätzlich nicht neutral. Ein Sportler ist unglücklich und deprimiert darüber, dass er (vor hundert anderen) an Stelle des ersten Platzes (nur) den zweiten Platz errungen hat. Seinen (messbaren) nachweislichen Sieg empfindet er (subjektiv) als Niederlage. Die Skalierung wird subjektiv interpretiert. Er sieht sich nicht als Sieger und Gewinner von Rang 2., sondern (entsprechend seiner Erwartung, den ersten Platz zu erreichen) als Verlierer (ggf. als völligen Verlierer, der keinen Wert hat und sich schämen muss) Entsprechend seiner eigenen Erwartung und/oder der Erwartung seiner Fans wird er entweder gefeiert oder feiert sich selbst oder er wird bedauert oder geschmäht oder bedauert sich selbst.

Diverse Zusammenhänge und Folgen

Hier einige direkte oder indirekte Zusammenhänge:

Hypothesentheorie der sozialen Wahrnehmung
Persönliche und soziale Faktoren lösen bestimmte Erwartungen aus, die zur Aufstellung bestimmter Hypothesen führt. Beispiele "andere bzw. bestimmte Menschen sind mir feindlich gesinnt" oder "niemand mag mich." Derartige Erwartungshypothesen beeinflussen die Wahrnehmung enorm. Sie stellen eine regelrechte Leitorientierung für die Wahrnehmung dar und entscheiden darüber, was überhaupt (selektiv) wahrgenommen wird und wie das Wahrgenommene (vor-)interpretiert wird. In vielen Fällen nehmen Menschen aus der Masse der realen Umweltreize nur diejenigen wahr, die ihren Hypothesen entsprechen. Reize, die den eigenen Erwartungen und Hypothesen widersprechen, werden nicht wahrgenommen, abgelehnt, abgewertet, umgedeutet, verzerrt oder verfälscht. Je stärker eine Hypothese ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie aktiviert wird, desto weniger Informationen werden benötigt, um sie für sich zu bestätigen. Entsprechend hoch muss die Anzahl widersprechender Informationen sein, damit sie widerlegt werden kann. Manchmal gelingt es nie, einen Menschen von seinen Fehlwahrnehmungen und daraus abgeleiteten Fehlannahmen abzubringen.

 

Stereotypisierte Kopplung

Hier werden Charaktereigenschaften, die in keinem real abhängigen Zusammenhang stehen, mit einer entsprechend logisch scheinenden unterstellten Annahme und Erwartung automatisch miteinander verknüpft. Wer z.B. sauber und gepflegt ist, ist auch höflich. Wer höflich ist, ist auch gebildet. Wer eine Brille trägt, ist intelligent, Wer einen Bart trägt, ist konservativ. Wer konservativ aussieht, arbeitet langsamer etc.

 

Kleber-Effekt
Der Kleber-Effekt basiert sowohl auf einem "Logischen Fehler", als auch einem Erwartungsfehler. Beim Kleber-Effekt leitet der Beobachter bzw. Entscheider auf der Grundlage von Erfahrungswerten bzw. vorausgegangenen Beobachtungen 
eine bestimmte Erwartung ab, die er für sicher hält... (Detail-Infos)

 

Etikettierungs- und Stigmatisierungsfehler
Wenn Menschen einer negativ bewerteten Kategorie zugeordnet werden, hat dies zur Folge, dass sie sich automatisch auch in eine bestimmte Richtung, die ihnen zugeordnet bzw. zugeschrieben wird, entwickeln. Aus einer eventuell nicht zutreffenden Zuschreibung wird dadurch Realität. Ein beispielhaftes Phänomen ist z.B. die Selbsterfüllende Prophezeiung, die auch als Rosenthal Effekt bezeichnet wird.

 

Selbsterfüllende Prophezeiung/Self-fulfilling-prophecy/Rosenthal Effekt

Die selbsterfüllende Prophezeiung beschreibt das Phänomen, dass ein erwartetes Verhalten einer anderen Person durch Verhalten einer anderen Person oder Personengruppe erzwungen wird. Erwartet jemand ein bestimmtes Verhalten von seinem Gegenüber, erzwingt er durch eigenes Verhalten genau dieses Verhalten... (Detail-Infos)

 

 Selbstzerstörende Prophezeiung (self-defeating prophecy)
Eine Prognose kann das Eintreffen ihrer Voraussagen unter bestimmten Voraussetzungen auch verhindern. Hier verhält sich der Betreffende so, dass die Prophezeiung gerade nicht in Erfüllung geht. Gerade weil etwas ganz konkret prophezeit wird, tritt etwas nicht ein... (Detail-Infos)

 

Selbstwirksamkeitserwartung/Self-efficacy/Perceived self-efficacy)
Der Glaube, bestimmte Ziele erreichen zu können, wirkt ähnlich selbst erfüllend wie
die Selbsterfüllende Prophezeiung (Detail-Infos)

  

Pygmalioneffekt

Der Begriff stammt aus der griechischen Mytologie. In der Psychologie ist damit gemeint, dass Menschen z.B. Schüler, die der Lehrer – egal aus welchen Gründen- für (sehr oder besonders) intelligent hält, besonders oder besser gefördert werden und daher (gerade deshalb) größere Fortschritte machen als die anderen Schüler, die der Lehrer als normal oder weniger intelligent einstuft. Dieser Mechanismus spielt auch in Bewerbungsverfahren und Personalauswahlprozessen eine Rolle: Glaubt ein Personalentscheider nämlich, dass ein bestimmter Bewerber bzw. eine bestimmte Eigenschaft eines Bewerbers (z.B. eine konkrete Ausbildung, ein bestimmtes Alter etc.) in jedem Falle besser für die Stelle geeignet sei als die Mitbewerber, wird er ihm während des Interviews bewusst oder unbewusst Steine aus dem Weg räumen, ihm leichtere Fragen stellen oder sonst wie auch immer automatisch protegieren. So schneidet der Bewerber tatsächlich besser ab und bekommt den Job, ganz der Erwartung entsprechend. Insofern realisiert sich hier eine Art der Selbsterfüllenden Prophezeiung, nur mit dem Unterschied, dass nicht der Beobachtete sich in Richtung der jeweiligen Erwartung verändert, sondern die beobachtende Person.

 

Skalierungsfehler

Bei der Einschätzung einer Person oder einer Sache nutzt die einschätzende Person zwar die gleiche Bewertungs-Skala, jedoch nicht faktisch, sondern durch den persönlichen Eindruck getönt. Alternativ verändert er die Skalierung oder die Bewertung der Skalierung entsprechend seiner Erwartungshaltung. Diese Veränderung muss nicht bewusst erfolgen. Sie erfolgt zumeist unbewusst. Zumeist wird die Skalierung so verschoben, dass sich die eigene Erwartung schließlich erfüllt.

 

Ankereffekt

Der Ankereffekt tritt beim Schätzen von Quantitäten auf, wobei eine zeitlich vorhergehende hohe Maßangabe die weitere Maßeinschätzung erheblich beeinflusst. Ein Ankereffekt tritt immer dann auf, wenn der Befragte nach konkreten Zahlen wie z.B. Preisen oder Jahreszahlen gefragt wird. Jede andere Zahl, die zuvor vom Interviewer oder vom Interviewten selbst genannt

wird, kann die zu nennende Zahl beeinflussen, selbst dann, wenn beide Zahlen offensichtlich nichts miteinander zu tun haben. Studien zeigten, dass sich erfahrene Richter selbst von Rechtsbegehren offensichtlich inkompetenter Personen (hier Jurastudenten) und von unglaubhaft hohen Anträgen (sowohl Schadenersatzforderungen als auch Haftdauer) maßgeblich beeinflussen lassen. Der Ankereffekt wird insbesondere im Verkauf genutzt.

 

Synästhesie 

(Vom Griechischen syn-aisthese - die Mit-Empfindung). Überwiegend ist darunter die Kopplung zweier verschiedener, physikalisch getrennter Wahrnehmungen, etwa Farbe und Töne auf Grund von Erwartungshaltungen gemeint. Bei der häufigsten Form der Synästhesie nehmen die Betroffenen Gehörtes (z.B. Sprache, Musik oder Geräusche) unwillkürlich zusammen mit Zweitempfindungen (Farben, geometrische Formen, Farbmuster) wahr. Den ursprünglichen Reiz und das Zweitempfinden werden als Einheit wahrgemommen. So können Wochentage z.B. mit Charaktereigenschaften und Farben verbunden werden. Diese Einheit steht in einer Verbindung mit einer Erwartung. Entsprechend einer unangenehmen Erwartungshaltung nach einem freien Wochenende ist der Montag zum Beispiel schwarz, männlich und dominant. Tatsächlich handelt es sich nicht - wie angenommen - um eine Krankheit oder Störung, sondern um um eine besondere Sensibilität und Kreativität im Hinblick auf Gedanken-Zusammenhänge, die eigentlich jedes gesunde Gehirn erzeugt, nur mit dem Unterschied, dass das, was bei anderen unbewusst abläuft, Synästhetikern bewusst ist. Sie selbst halten es aber für alltäglich und gehen davon aus, dass andere das ebenso empfinden. Daher bemerken manche Menschen (durch Wahrnehmungsabgleich) erst sehr spät, dass sie selbst in einem bestimmten Bereich Synästhetiker sind. Für sie war bis dahin ja diese Art der Wahrnehmung "normal" und alltäglich.  

Zusammenhang Erwartung - Zufriedenheit

Zufriedenheit und Glücksempfinden stehen in einem engen Zusammenhang mir Erwartungen. Erwartungen haben widerum einen starken Einfluss auf die eigene Zufriedenheit und das Empfinden von Glück. 

 

Haben z.B. Menschen niedrigere Erwartungen, so haben sie auch eine höhere Chance, glücklich zu werden. Dies trifft auch auf Menschen zu, denen von außen bzw. von anderen Menschen niedrigere Erwartungen entgegengebracht werden. Glück hängt nicht nur vom tatsächlichen Ergebnis ab, also davon wie die Dinge tatsächlich bzw. konkret laufen, sondern davon, was man konkret erwartet oder andere von einem erwarten.

 

Hohe Erwartungen und verkrampfte Erwartungshaltungen führen dazu, dass man das Glück nicht wahrnimmt und eher unzufrieden und unglücklich ist. Eine bestimmte Erwartungshaltung beeinflusst das Gefühl der Wahrnehmung in erheblichem Maße. Tatsächlich ist in einer Situation nicht der gewonnene Mehrwert, sondern das Maß der vorausgegangen Erwartungsannahme in Relation zum Maß der nachfolgenden Erfahrung ausschlaggebend.

 

Wichtig ist nicht nur das Maß der konkreten Erwartung, sondern auch die konkrete Erwartungshaltung anderen Menschen gegenüber sowie die Erwartung anderer einem selbst gegenüber. Wenn man z.B. sein Glück davon abhängig macht, dass andere die eigene Erwartungen erfüllen, bringt einen das in eine Abhängigkeit. Einfach wäre es, wenn wir unsere Erwartungen ausschalten könnten. Das ist jedoch nicht möglich. Jede sachliche Prognose ist immer mit einer unbewussten Erwartung verbunden, die widerum auf einer bestimmten Erwartungshaltung basiert. Man kann jedoch seinen Blick weiten und einzelne, positive Details beachten. Negative Gedanken bewirken das Gegenteil und es kann durchaus passieren, dass selbst bei vollständigem Eintreffen des Erwarteten, das Erwartete nicht wahrgenommen oder nicht vollständig wargenommen werden kann.

 

Als Beispiel hierfür seien die vielen Menschen genannt, die sachlich betrachtet, im Wohlstand leben, dennoch aber unglücklich sind, sich arm fühlen etc. Hinzu kommt der Effekt, dass man Erwartungen, die bereits in Erfüllung gegangen sind bzw. dass man das, was man bereits erreicht hat, nicht mehr wahrnimmt und/oder noch noch mehr davon wünscht. Der Wunsch nach "mehr" führt automatisch zu einer Unzufriedenheit, da "mehr wollen" gehirntechnisch im Umkehrschluss mit "wenig haben" in Verbindung gebracht wird.