Hintergrundwissen "Selbstermächtigung / Empowerment"

Mehrwert-Infos für Vielleser, Mehrwisser, Besserwisser

Einleitung

Was bedeutet Selbstermächtigung - auch Empowerment genannt?
Immer mehr Ich-Bezogenheit und Ego-Zentriertheit? Immer mehr soziale Inkompetenz und Ermutigung dazu? Was hat es mit ausgelegten Gift-Ködern für Hunde und mit Rasierklingen in Sandkästen auf sich? Wird in einer Gesellschaft, in der sich soziale Kompetenzen immer weiter im Abbau befinden, von vielen etwa noch zusätzlich zur sozialen Inkompetenz aufgerufen? Ist Selbstermächtigung nicht etwas Positives? Vorab einige Begriffe, die wichtig sind, um den Begriff der Selbstermächtigung besser zu verstehen und zu hinterfragen:

Selbstwert

Unser Leben wird bestimmt durch den Wert, den wir uns selbst beimessen. Den Wert, den wir uns selbst beimessen, lässt uns zu dem werden, was wir von uns halten (Selbstwertgefühl). Auf diesem Selbstbild und Gefühl resultiert unser Bewusstsein von uns selbst (Selbstbewusstsein) sowie unsere Selbstachtung und unser Selbstvertrauen. (Detail-Infos) Dabei neigt der Mensch jedoch zumeist zur Selbstüberschätzung und zur Selbstüberhöhung - jeweils natürliche Effekte:

Selbstüberschätzung

Das Bedürfnis, das eigene Selbstwertgefühl aufrechtzuerhalten und zu erhöhen, gehört zu den grundlegenden Motiven eines jeden Menschen. Sobald Menschen ihr Selbstwertgefühls bedroht sehen, neigen sie dazu, die Realität in Richtung einer eigenen Logik zu verzerren, die das Selbstbild aufrechterhält. Dabei greifen Menschen auch auf völlig irrationale Erklärungsversuche zurück. Beim sogenannten Selbstwert-Effekt werden z.B. die Tatsachen völlig verdreht. Der Overconfidence-effect, auch Overconfidence barrier-effect genannt, beschreibt die Tendenz, von seinen eigenen Urteilen und seiner Urteilskraft völlig überzeugt zu sein. Der Effekt basiert auf einer natürlichen Fehlkalibrierung subjektiver Wahrscheinlichkeiten im Gehirn. Auch die sogenannte Überlegenheitsillusion, die auch als "Lake Wobegon Effect" bekannt ist, gehört zu den sogenannten selbstwertdienlichen Verzerrungen, mit denen wir uns selbst aufwerten, um uns besser zu fühlen. Aufgrund der Illusion können wir aber auch genauso gut "vor die Pumpe laufen". (Detail-Infos)

Selbstwirksamkeitserwartung

Das Konzept der Selbstwirksamkeitserwartung (SWE) (perceived self-efficacy) (nach Albert Bandura) basiert auf der eigenen Erwartung und beschreibt die positiven Auswirkungen des Glaubens an sich selbst. Der Glaube an die eigene Person ist eine wichtige Voraussetzung dafür, die Aufgaben des Lebens erfolgreich zu meistern. Dabei bewirkt die Selbstwirksamkeitserwartung als regelrechter Effekt. (Detail-Infos)

Selbstermächtigung / Empowerment

Vom bekannten Effekt der Selbstwirksamkeitserwartung abgeleitet, bezeichnet "Empowerment" entsprechende Strategien und Maßnahmen, die geeignet sind, die eigene Autonomie (Selbstautonomie / Selbstbestimmung) zu erhöhen, sowohl in Bezug auf die Einstellung zu sich selbst als auch auf die soziale Interaktion in Gemeinschaften. Dazu zählt, eigene Interessen eigenmächtig, selbstverantwortlich und selbstbestimmt zu vertreten und zu gestalten.

 

Der Begriff "Empowerment" stammt aus dem Englischen und bedeutet übersetzt "Ermächtigung" oder "Bevollmächtigung". Empowerment bezieht sich folglich sowohl auf den Prozess der Selbstbemächtigung der eigenen Person als auch auf die Unterstützung durch entsprechende Profis, die Menschen dabei helfen, den Wert ihrer eigenen Person inklusive von Gestaltungsspielräumen und Ressourcen wahrzunehmen und entsprechend zu nutzen.

 

Die Menschen, denen sie helfen, werden quasi dazu bevollmächtigt, Macht über sich selbst zu erlangen bzw. zurückzuerlangen. Dabei geht es auch um die Übernahme von Selbstverantwortung und Selbstbestimmung. Empowerment ist daher auch eine Art Selbstkompetenz. Sie folgt dem Trend nach Streben zur Erlangung einer Ich-Identität und Ich-Bezogenheit. Dem gegenüber steht jedoch der Mensch als soziales Wesen, dem Sozialkompetenz und sozialkompetentes Verhaltensmuster gemäß den sozialen Verhaltenerwartungen stetig abverlangt werden, um in sozialen Gemeinschaften problemlos und erfolgreich interagieren zu können. Zwischen Selbstermächtigung und sozialen Regelwerken bestehen deutliche Gegensätze, die in vielen Aspekten miteinander kollidieren.


Beispiel: Im politischen Bildungsumfeld soll die Mündigkeit des Bürgers erhöht werden. Wird die Mündigkeit des Bürgers erhöht, werden Gesetze und Regeln vom Individuum hinterfragt. Das ist erst einmal gut. Das Problem: Gesetze und Regeln, die hinterfragt werden, werden dann teilweise nicht akzeptiert und ggf. auch nicht toleriert. Es kommt zum Bruch von Regeln und Gesetzen. Dem Trend zur Ich-Bezogenheit folgend, streben manche Menschen einen solchen Bruch mit der Gesellschaft an. Sie stellen sich quasi über gesellschaftliche Normen und Werte. Ihnen selbst geht es damit besser. Was aber ist mit den anderen Menschen? Wie steht es um die Erreichung gemeinsamer Ziele oder um den Schutz der anderen, die sich ebenso frei entfalten wollen? Bedarf es dazu keiner Regeln und deren Einhaltung? Muss sich der Einzelne jetzt nicht mehr an diese Regeln halten? Entsteht durch Ich-Zentriertheit nicht ein Chaos?

 

Ein anderer Teil der Gesellschaft ist daher der logisch folgerichtigen Auffassung, dass der Mensch ein soziales Wesen - und damit zwingend in gesellschaftliche Normen und Regelwerke eingebunden ist. An diese Regeln muss sich der Einzelne (mit Hilfe seiner sozialen Kompetenzen und) mit sozial verträglichen Verhaltensmustern anpassen. Dennoch muss gesagt werden, dass viele Menschen ihre Anpassung auch missverstehen und sich dabei selbst völlig aufgeben und so stark unter den Wert sozialer Verantwortungen und Verpflichtungen stellen, dass von ihnen selbst nichts mehr übrigbleibt, was man als eigene Persönlichkeit identifizieren kann.

 

Tatsächlich gibt es viele Menschen, die vergessen, dass sie selbst auch noch da sind. Sie übernehmen nicht etwa nur faktisch geltende Normen, Werte und Regeln der Gesellschaft - sie übernehmen auch die eigene Auslegung dieser Normen, Werte und Regeln, selbst jene, die gar nicht wirklich vorhanden sind. So wird auch in einer Beziehung vieles unterstellt, was der Partner eigentlich gar nicht beabsichtigt. Dennoch kann ein deutlicher Trend zur Ich-Bezogenheit, zur Selbstbestimmung und zur entsprechenden Selbstermächtigung in unserer Gesellschaft festgestellt werden, die sich vom Denken und Handeln von Menschen in kollektivistischen Gesellschaftssystemen sehr deutlich abgrenzt.

 

Als regelrechtes Trend-Phänomen erleben wir Selbstermächtigung nicht nur im Privatleben (z.B. sich beschweren, seine Rechte vehement einfordern, gerichtliche Klagewelle), sondern auch in Form regelrechter Protest-Bewegungen bei neuen politischen Bewegungen (Stuttgart 21, Wikileaks, Arabischer Frühling, Piraten-Partei), bei religiösen und spirituellen Bewegungen und im Gesundheitsbereich (Mündiger Patient, Internet-Selbstdiagnose, Sterbehilfediskussion). "Selbstermächtigung" wird in Lebenshilfe-Tatgebern proklamiert und von einigen Psychotherapeuten und Sozialarbeitern empfohlen. Es gibt regelrechte Bewegungen, die (neues) Selbstbewusstsein proklamieren und dazu raten bzw. regelrecht auffordern, den eigenen Selbstwert zu erhöhen, über andere zu stellen und sein Schicksal selbstbewusst und offensiv in die eigene Hand zu nehmen.

 

Dabei geht es nicht nur darum,  seine persönlichen Ansprüche lediglich zu formulieren, sondern aktiv umzusetzen, notfalls mit Gewalt und manipulativen Mitteln. Selbst gestandene etablierte Politiker proklamieren (z.B. in Bezug auf Protestbewegungen zur Asylpolitik) vor laufender Kamera, dass geltendes Recht (z.B. Demonstrationsrecht) auch umgegangen werden darf und muss (z.B. gegen Menschen. die gegen die Asylpolitik demonstrieren und die Ströme von Asylbewerbern ablehnen). Das geltende Recht zur Demonstration dürfe allein deshalb umgangen werden, weil (ungefährer Wortlaut) "jeder Asylbewerber mehr Wert" sei, als "ein Deutscher, der hier dagegen oponiert".

 

Die vielen Vertreter der Selbstermächtigung vertreten die Auffassung, dass gegen geltende Normen, eingespielte Regeln und etablierte Strukturen der institutionellen Ordnungen auch verstoßen werden darf. Ihrer Auffassung nach, sind Institutionen und die institutionelle Ordnung unserer Gesellschaften bewusst in Frage zu stellen und in letzter Konsequenz durch neue Formen der freien Selbstorganisation zu überwinden. Aber esgibt auch posiotive Seiten z.B. bürgerschaftliche Engagement als moderne Variante von Ehrenämtern sowie verstärkter Drang nach Bildung und Weiterbildung.

 

Auch ist es weder falsch noch frevelhaft, Urteile und Entscheidungen zu hinterfragen. Insbesondere im medizinischen Bereich erscheint es durchaus sinnvoll, sich eben nicht nur auf die Schulmedizin und auf sogenannte "Halbgötter in weiß" zu verlassen, die sich aus individuell subjektiver Sicht "viel zu wenig Zeit für den einzelnen Menschen und seine individuelle Biographie sowie seine individuellen Anliegen und Bedürfnisse nehmen - und darüber hinaus auch objektiv messbar viel zu wenig Zeit haben, sich so um ihre Patienten zu kümmern wie sie es in ihrem Studium gelernt haben. Die Zeit sturen Befehls-Gehorsams ist längst vorbei - und allein im Hinblick auf unsere Geschichte erscheint das auch gut so. Dennoch sei die Frage erlaubt, ob z.B. eine Armee, in der die Soldaten dazu ermutigt und angehalten werden, Befehle zu hinterfragen, sich im Ernstfall gegen eine Armee aus kollektivistischen Staaten überhaupt behaupten kann? Bei den bislang genannten Beispielen zu Bewegungen und Bestrebungen ging es um Gruppen und Gruppierungen. Wie steht es um den einzelnen Menschen und seine Persönlichkeit? Wie ist hier der Trend?

Viele Menschen möchten sich stark und deutlich als Individuum sehen, ihre Individualität herausarbeiten, sich von anderen abgrenzen und sogar ihr eigenes Recht haben und bekommen, dass es geradewegs schwierig fällt, dies mit den Bedürfnissen anderer in einen gesunden Einklang zu bringen. Das zeigt nicht zuletzt die verhältnismäßig hohe Anzahl von Nachbarschaftsstreitigkeiten und die extrem hohe Anzahl privatrechtlicher Streitfälle, die bei den Gerichten auflaufen und nur mit hoher Wartezeit und vereinfachten Methoden abgearbeitet werden können.

 

Da die Menschen in Deutschland immer Ich-bezogener und selbstbewusster werden, streiten sie sich gerne - auch weil sie dieses Bedürfnis immer mehr als "Lebensrisiko" verstehen ihre hohe Streitprognose über eine Rechtschutzversicherung absichern. Allein in Berlin gab es 2012 pro hundert Einwohner insgesamt 26,2 Streitfälle, die vor ein Gericht gebracht wurden. Das kann man aus zwei Perspektiven betrachten: Auf der einen Seite lassen sich Menschen nicht mehr so viel bieten und setzen sich zur Wehr, auf der anderen Seite will jeder sein Recht und dabei nur ungern nachgeben.

 

Wer sein Recht nicht bekommt, bestreitet - sofern zulässig - den Weg in die nächst höhere Instanz oder kümmert sich selbst darum, sein Recht über andere Wege "einzufordern". Nicht wenige greifen dabei zu unlauteren Mitteln (im Rahmen von sogenannter Selbstjustiz), die ebenfalls als "Selbstermächtigung" bezeichnet werden. Wen wundert es, wenn selbst Spitzen-Politiker zu derartigen Einstellungen und Verhaltensweisen ermuntern. Ob ihnen die Konsequenzen klar sind?

Hier wird jedoch die Kehrseite der Medaille deutlich. Selbstermächtigung ist folglich ein zweischneidiges Schwert und sollte auch genauso vorsichtig gesehen und behandelt werden. Beide Seiten - sowohl die Selbstbestimmung als auch die soziale Bestimmung und Verantwortung - haben Vor- und Nachteile, die jedoch selten gegenüber gestellt werden. Zumeist wird entweder die eine oder die andere Ansicht propagiert. Während die Selbstermächtigung im Privatleben aus unsinnigen Abhängigkeiten, die Menschen blockieren, regelrecht lähmen und krank machen können, wieder heraushilft, kann diese Selbstermächtigung aber auch zu Verhalten führen, das anderen Menschen schadet und damit sogar azozialer und auch krimineller Natur sein kann.

 

Was das Individuum, das sich selbst ermächtigt, als "asozial" und "kriminell" begreift, hängt widerum ab von seinem eigen Selbstbild und Weltbild, dass im selbst innewohnt. Insofern macht sich der sich selbst Ermächtigende seine eigenen Regeln und Gesetze, die er wie eine eigene Polizei und Justiz vehement vertritt. Dabei scheint er über allem erhaben zu sein

 

So gibt es nicht nur Menschen, die sich dazu ermächtigen (z.B. aufgrund innerer Unzufriedenheit oder Ärger über den Chef) mehrere Monate auf Kosten ihres Arbeitgebers und ihrer Kollegen "blau" zu machen, sondern auch solche, die sich eine Waffe (gleich welcher Art) zulegen und sich damit "ihr Recht" verschaffen bzw. ihrem Recht nachhelfen und damit ihr "Ich" zur Geltung bringen ggf. mit Mord und Totschlag. Manchmal sind es Rasierklingen, die auf Kinderspielplätzen in Sandkästen platziert werden, um dem Lärm spielender Kinder entgegenzuwirken, manchmal Gift-Köder, die ausgelegt werden, um Hundebesitzer abzuschrecken, ihren Hund frei laufen zu lassen. Aber es geht nicht nur um Akte von Gewalt, sondern ganz einfach darum, seinen Willen und sein Ego durchzusetzen. Dabei erhebt man sich dann einfach über Regeln hinweg, wobei stets eine eigene Logik wirkt, welche die Regel aufzuheben scheint.


Beispiel: "Obwohl hier ein Schild ist, auf dem steht, dass Hunde im Wald anzuleinen sind, brauche ich das nicht zu tun, weil mein Hund lieb und völlig harmlos ist und das hier auch eigentlich nicht wirklich ein Wald ist, lediglich eine Ansammlung von einigen Bäumen." Oder: "Weil die Verkehrsführung, die sich irgendwelche Theoretiker ausgedacht haben,  hier unlogisch ist, helfe ich mir selbst, indem ich eben doch nach links abbiege, obwohl man hier nur rechts abbiegen darf." Menschen basteln sich ihre eigene Logik zusammen. Dass diese Logik dann ziemlich stark verzerrt ist, merken sie nicht: "Wer sagt, ich soll meinen Hund anleinen, der mag meinen Hund nicht. Wer meinen Hund nicht mag, der mag auch mich nicht. Wer weder Tiere noch Menschen mag, der ist ein böser Mensch. Die Anweisungen solcher Menschen muss und werde ich persönlich nicht befolgen." 


In einer Gesellschaft, in der unzählige Ich-bezogene Bedürfnisse aufeinanderprallen, fühlt sich der Einzelne nicht selten unberücksichtigt, um seine Rechte betrogen und hintergangen. Und diese Rechtsbedürfnisse sind heute vielfältiger denn je: Während es früher oft lediglich um das nackte Überleben und die Befriedigung von Grundbedürfnissen wie z.B. Hunger und Schlaf ging, geht es heute z.B. um das Recht auf Freiheit für den Kampfhund und das Bedürfnis, sein Auto mit Tempo 250 ausfahren zu dürfen.

 

Ein Kleinwagenfahrer, der sich "spießig" an das Tempolimit zu halten scheint oder ein Spaziergänger, der es lieber sieht, wenn der große freilaufende Hund angeleint wird, wirkt da auf viele selbst ernannte "Selbstherren" wie ein Störenfried, ja sogar wie Krimineller, der gegen das eigene Recht auf freie Entfaltung der eigene Persönlichkeit und auf Ausleben des eigenen Egos oponiert - und es gilt, dem eigenen Wert entsprechend - sich durchzusetzen, notfalls mit Gewalt. 

 

Wenn Verkehrspolizisten einen Verkehrssünder stoppen und ihm sein Delikt über Video vorspielen, müssen sie nicht selten verzeichnen, dass die Raser und Drängler entweder nicht einsichtig sind, das Ganze lächerlich finden, den "Langsamfahrer" vor ihnen als Schuldigen bezeichnen oder einfach weghören nach dem Motto: "Das ist einfach kleinkariertes Unrecht armer neidischer Menschen und ändern nichts an meiner Fahrweise." Einige würden, wenn sie es könnten, am liebsten sogar die Polizisten verklagen oder sich sonst wie wehren z.B. wie so mancher Hundebesitzer, der dann ggf. mit seinem Hund regelrecht als Waffe droht. Drohen ist sowieso ein typischer Ausdruck von Selbstbestimmung, Selbstwert, Selbstherrlichkeit und auch Selbstüberschätzung. Dabei gelten sogar Regeln im Zusammenhang mit Selbstwertgefühl und Intelligenz - aber auch Persönlichkeitsstörungen spielen hier eine Rolle.

 

Immer häufiger fühlen sich Menschen in ihrer subjektiven Wahrnehmung anderen gegenüber benachteiligt oder geradewegs übervorteilt, während sie andere vom "System" für unberechtigt bevorzugt halten. Aus objektiver Sicht ist das nicht selten zutreffend. In einer derart übertrieben Ich-bezogenen Gesellschaft ist der Staat aber gar nicht in der Lage, es allen recht bzw. machen. Derartige innere Widersprüche zu ertragen, bedarf einer hohen Ambiguitätstoleranz - ein wichtiger Bestandteil sozialer Kompetenzen. Diese sozialen Kompetenzen nehmen bei Menschen in modernen Konsumgesellschaften jedoch immer weiter rapide ab. Nicht zuletzt liegt das widerum am Staat, der dem Individuum immer mehr Verantwortung bzw. Selbstverantwortung abnimmt. Erzieher der eigenen Kinder sind in Deutschland nicht etwa - wie von vielen angenommen - die Eltern. Die Eltern sind lediglich mit Erlaubnis des Staates zur Erziehung berechtigt. Auch wenn es keine HJ mehr gibt: Erzieher ist nach wie vor der Staat - und der kann die Berechtigung zur Erziehung nach eigenem Ermessen wieder entziehen. Genau so ist es in vielen anderen Lebensbereichen. Wem etwas nicht passt, der beschwert sich oder klagt.

 

Daran haben sich die Menschen im Verlaufe des Sozialisierungsprozesses sehr gewöhnt. Das "sein Recht einfordern" und "sich wehren" wird aber immer selbstverständlicher und auch selbstherrlicher. "Ich rate Ihnen, einen Anwalt einzuschalten." hört der Einzelne öfter als der Rat "Seid doch mal freundlich zueinander. Sprecht euch aus und einigt euch." Das Verhältnis beider Empfehlungen liegt nicht etwa bei 1:1 wie man meint. Letzere Empfehlung wird heute oft als Schwäche gedeutet, weshalb man derartige Ratschläge kaum noch hört. Die vielen Rechts-Sendungen der Boulevard-Medien fördern dies noch.

Wer sich über den Zigarettenrauch oder den Grillgeruch des Nachbarn ärgert, der erträgt ihn nicht oder schließt sein Fenster. Er fordert sein Recht, dass es dem Nachbarn ganz einfach verbietet, zu rauchen oder zu grillen.

 

Derartiges nimmt jedoch mittlerweile auch Züge an, die eigentlich ein Fall für den Psychiater oder zumindest für den Psychotherapeuten sind: Wer sich darüber ärgert, dass er selbst von anderen Menschen nur wenig Beachtung findet und von Vertretern des anderen Geschlechts nicht angesprochen wird, der kümmert sich ggf. nicht etwa mehr um sein Styling und Outfit, meldet sich im Fitness-Studio an oder konsultiert einen Coach: Nicht selten wird dann sogar ein Gesetz gefordert, das diesem Frust zukünftig entgegenwirken soll z.B. (wie vor einiger Zeit debattiert) ein Gesetz, dass es beispielweise Männern verbieten soll, auf offener Straße einer Frau Komplimente zu machen, weil dies angeblich diskriminierend sei.

 

Findet ein derart gefrusteter Mensch eine passende Lobby und dazu einen ebenso gefrusteten Politiker, dem es ähnlich geht, findet sich auch irgendwann das passende Gesetz dazu. Wenn ein derartiges Gesetz nicht durchkommt, dann beschließt man - der Vereinfachung halber - ganz einfach die Abschaffung des Unterschieds zwischen Mann und Frau, schließlich lässt sich immer eine Begründung finden, die Ursache für Misserfolg nicht bei sich selbst, sondern bei anderen zu suchen.

 

Aber nicht immer findet sich eine starke Lobby, der auch Politiker angehören. Oder man findet vielleicht doch keine wissenschaftlichen "Beweise" dafür, dass etwas doch nicht so ist wie es scheint und bislang gut funktionierte. Auch dann findet die Selbstermächtigung ihren Ausweg: Wer seine Ruhe nicht bekommt, die er sich wünscht oder sich über Kinder und Hunde ärgert, bevollmächtigt sich eben kurzerhand selbst dazu, die Dinge in die Hand zu nehmen und sich Abhilfe zu verschaffen z.B.  Rasierklingen in Sandkästen, Giftköder gegen Hunde usw. Alternativ legt man sich selber eine Waffe zu - oder am besten selbst einen Hund, am besten einen noch größeren. Das Gefühl der Hilflosigkeit vieler Menschen ist ebenso ernst zu nehmen wie Probleme bezüglich der eigenen Persönlichkeit und des Selbstwertgefühls.

 

Hinzu kommt der stetige soziale Vergleich mit anderen, denen es besser geht, die sich größere Freiheiten herausnehmen dürfen, die mehr Zuwendung vom Staat erhalten, für die man selbst mehr oder weniger schwer arbeiten, ja regelrecht "schuften" muss. Tatsächlich kümmert sich der Staat, der den Bürgern ansonsten alle möglichen Verantwortungen abnimmt, wenig um diese psychologische Realität - ebenso wenig um die Gefahren, die aus derartigen "Missverständnissen" und Gefühlen erwachsen. Wer die Gefühle des Individuums und einzelner Gruppen einfach so übergeht, wird irgendwann große Probleme ernten. Hier schlummern tickende Zeitbomben. Einige davon treten mitterweile sogar immer häufer zutage z.B. gefrustete Menschen, die sich als islamistische Kämpfer melden, sogar als tickende Zeitbomben ausbilden lassen, um dann - früher oder später - zu explodieren.

 

Der allgemeine Trend zur Selbstermächtigung ist insgesamt recht fragwürdig. Auch Profis sollten diese Verantwortung sehen. Wenn ein Therapeut rät: "Sagen Sie demnächst einfach Nein." ist das zwar seitens des Therapeuten recht gut gemeint und es hilft, seinem Klienten, kurzfristig wieder selbstbestimmend zu handeln. Wenn dieser Klient aber wegen seines Neins seinen Job verliert oder von der Polizei bei einer Verkehrskontrolle verhaftet wird, weil er sich einfach selbstbestimmend weigert, bei solch einer "Zumutung" und "Diskrimierung" einfach mitzuspielen, sehen die Folgen anders aus. Was in Sachen Empowerment von vielen Stellen geraten wird, ist sicher gut gemeint, dennoch aber recht unrealistisch, zumindest solange eine juristische, wirtschaftliche und soziale Abhängigkeit besteht, die nicht einfach so geleugnet werden kann wie viele sich das denken bzw. viele es gewinnbringend verkaufen.

 

Wer Empowerment in jeder Hinsicht uneingeschränkt empfiehlt, unterliegt zugleich einem regelrechten Heile-Welt-Naivitäts Fehler. Wer an Stelle eines gesunden Selbst- und Fremdbildes durch falsche bzw. völlig überzogene Auslegung von Empowerment eher soziale Inkompetenz propagiert, trägt nicht gerade dazu bei, Menschen vor ihrer Konditionierung durch übertriebenen sozialen Einfluss zu schützen. Er konditioniert Menschen eher auf Egozentriertheit und fördert die Entwicklung von Persönlichkeitsstörungen, fördert Stolz und Hochmut (ggf. gefährlichen Übermut) und schürt ggf. destruktiven Neid.   

 

Zur Abwendung einer defizitorientierten Wahrnehmung sowie zum Ablegen ungünstiger Hemmungen und schadhafter Ängste hin zu einer stärkenorientierten Selbstwahrnehmung - auch im Hinblick auf ein gesundes Selbstbild und Fremdbild - ist Empowerment sicher ein ganz auszeichnetes Konzept, ebenso im Hinblick auf moderne Management- und Personalführungskonzepte.

 

Empowerment ist zugleich ein stärkenorientiertes Instrument der modernen Organisationsentwicklung, das sich auszahlt: Empowerment führt - als Instrument richtig eingesetzt- hier zu einer besseren Unternehmenskultur, zu einer Stärkung der intrinsischen Motivation und zu einer besseren Fähigkeiten der Mitarbeiter, höhere Leistung zu bringen, Ziele zu erreichen und Verantwortung zu übernehmen. In Unternehmen zeigt sich Empowerment in Form flacher Hierarchien, durch offene Kommunikation inklusive Teilnahme an Entscheidungen, durch Öffnung von Gestaltungsräumen und eine positive, anerkennende Teamkultur.

 

Auch in Bezug auf Selbstmarketing und die Aufarbeitung des eigenen Werdegangs und die optimale Selbstinszenierung ist Empowerment eine gute Sache. Wenn der Mensch sich seiner Potenziale und Ressourcen bewusst ist und dazu ermutigt wird, seine Fähigkeiten auszubauen und seine Ziele umzusetzen, ist Empowerment eine sinnvolle Hilfe. Der einzelne Mensch kann dadurch viel besser handeln und er wird weniger oft krank. Empowerment ist auch hilfreich, wenn es darum geht, vorhandene Potenziale zu stärken und den Einzelnen zum Ausbau dieser Potenziale sowie zur persönlichen und beruflichen Weiterentwicklung zu ermutigen.

 

Viele Menschen unterliegen dem sozialen Einfluss derart stark, dass die soziale Einflussnahme die eigene Persönlichkeit fast vollständig überwiegt. Vielen Menschen sind ihre Entscheidungs- und Wahlfreiheit gar nicht bewusst. Sie sind sich nicht im Klaren darüber, dass sie im Hinblick auf ihre Lebensgestaltung eine gewisse Wahlfreiheit haben. Wie schrieb Paul Arden (1940 - 2008), ehemaliger Executive Creative Director bei Saatchi & Saatchi in seinem "erfolgreichstem Buch der Welt" bereits im Titel so schön: "Es kommt nicht darauf an, wer du bist, sondern wer du sein willst."

 

Viele weitere Medien und Anbieter haben sich in den letzten Jahren auf das Thema Empowerment gestürzt. Die Agentur ib -die image berater- teilt ebenfalls Paul Ardens Auffassung. Dennoch warnen die Image- und Erfolgs-Profis vor einer falschen und überzogenen Auslegung des Themas Selbstermächtigung. Es ist wichtig, sich seiner eigenen Person und Persönlichkeit bewusst zu sein, ebenso wichtig, gängige alte Muster und Klischees zu hinterfragen und wichtig, danach zu Streben, seine Ziele in die Tat umzusetzen, jedoch stets im Hinblick auf das soziale Umfeld, von dem sich der Einzelne niemals komplett lösen und auskoppeln kann. Selbst auf einer einsamen Insel gilt es, bestimmte Regeln der Naturgesetze zu befolgen und sich den Mächten der Natur entsprechend anzupassen. 

 

Empowerment kann dazu motivieren, über erlebte und selbst gesetzte Grenzen hinauszugehen und neue Wege zu beschreiten. Wenn es aber darum geht, in sozialen Gemeinschaften sozialverträglich zu interagieren ohne anderen und sich selbst zu schaden, ist Empowerment durchaus fragwürdig. Autonomie ist solange eine gute und sinnvolle Sache wie die Grenzen und Rechte anderer nicht verletzt werden und sich der Selbstautonome nicht selbst "ein Eigentor schießt". Die Entfaltung der eigenen Persönlichkeit (Selbstentfaltung) ist ebenso wie die Verwirklichung der eigenen Persönlichkeit (Selbstverwirklichung) ein wichtiges und verständliches Streben von Menschen, damit sie ihr Leben nutzen und aus ihrem Leben etwas machen. Stets aber bleibt der Mensch im sozialen Kontext und ist nicht vollständig davon abgehoben.

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