Hintergrundwissen "Wahrnehmungsfehler aufgrund einer bestimmten Gesinnung"

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Fehler aufgrund einer bestimmten Gesinnung

Bestimmte (politische, kulturelle, religiöse etc.) Gesinnungen und Ideale beeinflussen - allein von der Weltbild-Erwartung her - sowohl die Beobachtung an sich, als auch die Informationsverarbeitung und Urteilsfindung, die hier stets sehr radikal pauschal und stereotyp in Richtung der entsprechenden Ideale bzw. der jeweiligen Gesinnung verläuft bzw. ausgelegt wird, was gleichzeitig die Ablehnung und Bekämpfung Andersdenkender oder anderer bzw. gegenteiliger Ansichten mit sich führt.


Einer bestimmten Gesinnung liegt eine bestimmte Sozialisation sowie ein bestimmter Lernprozess und Wissenserwerb zugrunde. Die im Gehirn gespeicherten Informationen - gleich ob diese nun richtig, falsch oder einseitig sind, bilden nachfolgend das Fundament für alle weiteren Wahrnehmungen, Beurteilungen und Entscheidungen. Folglioch wirkt auch einer bestimmte politische, kulturelle, ethische, moralische oder religiöse Gesinnung in unserren Köpfen und produziert - allein über die Einseitigkeit einer "Gesinnung" entsprechende Fehler.


Polarisierung
Im Vergleich zum Heile Welt Naivitäts Fehler sind die Urteile nicht tendenziell abweichend, sondern extrem, also pro/kontra bzw. schwarz/weiß, rechts/links, stets zu Gunsten der jeweiligen Gesinnung bzw. des jeweiligen Weltbildes, wobei Gesinnung und Weltbild selbst auf subjektiven Grundannahmen basieren, die sich zur eigenen Wahrheit und Erkenntnis sowie zu regelrechten Glaubenssätzen und daraus resultierenden Erwartungen manifestiert haben.


Hinzu kommt, dass das "Schwarz-weiß Denken" keine objektive Logik haben muss, sondern subjektiven Theorien bzw. Menschen- und Weltbildannahmen entspricht, die sich angeblich konträr gegenüber stehen z.B. "Arier"/"Judentum". Alles, was dazwischen steht, wird verdrängt und ist nicht Bestandteil der Beobachtung, Wahrnehmung und Beurteilung. Dadurch kommt es zu einer starken Polarisierung.

 

Wenn wir z.B. ausschließlich zwischen Autofahrern und Fußgängern unterscheiden, vergessen wir die vielen Fahradfahrer, Motorradfahrer und viele andere Fortbewegungsmittel. Ebenso verhält sich dies im Hinblick auf die Gegenüberstellung von Religionen (z.B. Christen/Moslems) und politischen Richtungen (Rechts/Links), wobei vergessen bzw. verdrängt wird, wie viele andere Religionen und Parteien es gibt. Zudem wird eine kanträre Stellung und Haltung unterstellt, was objektiv nicht richtig ist. Zudem gibt es viele Vermischungen. 

 

Radikale Maßstäbe
Maßstabsfehler wie die "Tendenz zur Mitte" oder der "Großzügigkeitsfehler" entfallen zu Gunsten strenger bis radikaler Maßstäbe (z.B.
"Tendenz zur Strenge") und Beurteilungen ohne objektive Grundlage. Selbst objektive Informationen werden negiert oder verzerrt bzw. in die eigene Richtung uminterpretiert falls diese Informationen dem eigenen Weltbild widersprechen. 

 

Obgleich insbesondere Journalisten und Richter es sich zur Aufgabe machen, eine möglichst objektive Sicht einzunehmen und Sachverhalte wie Zusammenhänge objektiv darzustellen, tritt dieser Fehler besonders häufig bei genau diesen Berufsgruppen auf. Besonders typisch verhält er sich bei Vertretern politischer Gesinnungen (z.B. Politiker).

 

Eine wesentliche Rolle spielt hier der Social-Cognition-Effekt, schließlich geht man naiv davon aus, dass man sich und seine Umwelt (trotz subjektiver bzw. einseitiger Sicht) realistisch und richtig einschätzt. Bei der Beobachtung und Wahrnehmung setzt der Mensch daher gezielt kognitive Ressourcen ein, um die ihm zur Verfügung stehenden Informationen so zu ordnen und zu interpretieren, dass sie seiner eigenen Logik möglichst nicht widersprechen.

 

Ähnlich wie beim Heile Welt Naivitäts Fehler kann dies schlimmstenfalls dazu führen, dass sogar Terroristen entschuldigt oder sogar begünstigt werden und sich die der Unmut, die Ablehnung oder der Zorn sogar gegen diejenigen wendet, die es zur Aufgabe haben, Terroristen zu suchen, zu finden, zu verurteilen und vor ihnen zu warnen.


Als Beispiel sei hier z.B. der GSG-9-Einsatz in Bad Kleinen am 27. Juni 1993 genannt, bei dem die RAF-Mitglieder Birgit Hogefeld und Wolfgang Grams im mecklenburgischen Bad Kleinen festgenommen werden sollten. Die Festnahme von Birgit Hogefeld verlief zwar "erfolgreich", aber eben nicht für die Terroristen: Bei dem anschließenden Feuergefecht kamen Wolfgang Grams und der GSG-9-Beamte Michael Newrzella ums Leben. An Stelle des Erfolges haben einige Politiker und Medienvertreter denn Einsatz nicht als Erfolg gewertet, sondern die Polizisten öffentlich "in die Mangel" genommen und (in sogenannter Umkehr) öffentlich zu Tätern erklärt, die sich dann aufgrund des öffentlichen Drucks (selbst wenn dieser von einer Minderheit kommt) rechtfertigen mussten, warum sie die Terroristen getötet haben.

 

Ergänzende Infos und Beispiele von der Sozialwissenschaftlerin, Politologin und Extremismus-Expertin Meral Bayuk, der wir für ihre Mitwirkung danken:

 

In unserer Wahrnehmung und Wirklichkeits-Auffassung gibt es viele Gegensätze und Widersprüche, die in unseren Handlungen und Worten unterschiedlich gedeutet werden. Desinformation ist ein Teil der verzerrten Wirklichkeit, aber auch Fehler bei der Informationsaufnahme. Dazu zählen z.B. Beobachtungsfehler aufgrund einseitiger Wahrnehmung, die wiederum von einseitigen Vorannahmen herrührt. Defizite bei der Informationsaufnahme führen zur sofortigen Suche nach Richtigkeit und Versuche sich zu rechtfertigen. 

 

Beispiel: Als die NSU-Morde (Morde an Migranten durch eine rechtsradikale Gruppierung namens NSU) Anfang 2000 ihren Lauf nahmen, kamen Medien und Behörden zu dem Entschluss, dass die Opfer alle Kontakt zum kriminellen Milieu hätten, woraus sich eine Stigmatisierung der sogenannten „Döner Morde“ in die kriminelle Richtung und eine Zuordnung zur organisierten Kriminalität ergab, was sich nachträglich als Wahrnehmungsfehler erwies.


An Stelle zusätzlicher Ermittlungen im rechtsradikal motivierten Bereich konzentrierten sich die Ermittlung auf das organisierte Verbrechen. Familienmitglieder der Mordopfer wurden in Visier genommen und sogar - bis zur Aufklärung der Morde - in Verbindung mit dem kriminellen Milieu gebracht. Als Erklärung für die Fehl-Wahrnehmung und die darauf basierende lange Fehlermittlung kann u.a. der Wahrnehmungsfehler aufgrund einer bestimmten Gesinnung und daraus resultierenden Vorurteile gesehen werden.


Ein weiteres Beispiel: Wenn Missstände bei der Integration von muslimischen Deutschen aufgezeigt werden, weil der Islam sich in einigen Punkten von westlichen Werten und Idealen trennt, entsteht der Verdacht einer Fremdenfeindlichkeit. Doch wenn man vom Islam selbst spricht, darf man auch die dem Islamismus angliederten Glaubensinhalte beleuchten. Allerdings führte die Sorge vor öffentlicher Kritik in den letzten anderthalb Jahrzehnten zu einer verpassten Chance, ausreichend präventiv gegen den entsprechenden Terrorismus vorzugehen.


Allein aufgrund einer bestimmten Gesinnung, hier z.B. der Gesinnung der unbedingt ausschließlich positiv zu wertenden Multikultur werden negative und sogar gefährliche Aspekte gerne verdrängt und die Wahrnehmung tendiert in eine eher unkritische Richtung, allein um Kritik zu vermeiden. Gefährliche Tendenzen, die sich mit dem Glaubensinhalt vermischen, werden dabei verdrängt oder sogar negiert. Realistisch wäre jedoch in Wirklichkeit, dass jede Glaubensrichtung oder politische Richtung und ebenso die Presse, Kritik vertragen muss. Schutz-Gesinnungen, die ausschließlich in eine bestimmte Richtung gehen, führen jedoch zu Beobachtungsfehlern und Wahrnehmungsfehlern und verzerren damit die Realität. 


 

Schwarz-weiß-Denken
Der Wahrnehmungsfehler aufgrund einer bestimmten Gesinnung steht in einem starken Zusammenhang mit Schwarz-weiß-Denken. Hier geht es um die Verhaltensbeobachtung und Beurteilung bzw. das Denken in zwei gegensätzlichen Extremen. Dadurch erscheint etwas entweder gut oder schlecht, schön oder hässlich, wertvoll oder wertlos, klug oder dumm, jugendlich oder uralt, modisch oder altmodisch, Sieger oder Verlierer, Erfolg oder Versagen, Heiliger oder Satan. Ausprägungen fallen ebenso weg wie Mittelmaß oder Durchschnitt nicht. "Lauwarm" bzw. "20 Grad Celsius" gibt es nicht, nur "warm und kalt". Der zweite oder dritte Platz entfällt; es gibt nur "Erster oder letzter Platz".

 

Durch Scharz-weiß-Denken wird nicht nur die Skalierung verzerrt bzw. stark reduziert, wodurch es zu ungenauen bzw. falschen Beurteilungen kommt: es werden auch Ängste geschürt, z.B. dass es um Alles oder Nichts geht, wobei der Wahrnehmungsfehler selbst u.a. auf Ängsten basiert. Die geschürte Angst kann wiederum zu einer "Selbsterfüllenden Prophezeiung führen: Je größer die Gegensätze, desto größer die Angst, desto wahrscheinlicher, dass sich eine von nur zwei Optionen erfüllt. Schließlich wird alles, was dazwischen liegt, nicht bewertet. Das Alles-oder-Nichts-Denken kann das Selbstwertgefühl stärken oder schwächen. Zumeist führt es aber zur Schwächung, da es sich um eine Form des negativen Denkens handelt.