Basiswissen "Ästhetik"

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Allgemeine Einführung
Ästhetik bedeutet wörtlich „Lehre von der Wahrnehmung bzw. vom sinnlichen Anschauen" und war früher die Lehre von der wahrnehmbaren Schönheit, von Gesetzmäßigkeiten und Harmonie in der Natur und Kunst. Im Gegensatz zur Kallistik, der Lehre, die sich mit Schönheit befasst, umfasst die Ästhetik eigentlich alles, was unsere Sinne beim Betrachten bewegt, also nicht nur Schönes und Angenehmes, sondern auch Hässliches und Unangenehmes.

 

Im Alltagssprachgebrauch wird „ästhetisch“ als Synonym für schön, geschmackvoll oder ansprechend benutzt. Neben der Psychologie, der Soziologie und der Philosophie beschäftigt sich auch die Kunst und das Design mit der Ästhetik. 

Ästhetische Bewertungen finden nicht nur subjektiv statt, es gibt es auch eine gewisse Sinnhaftigkeit und ein Raster verantwortlicher bzw. ursächlicher Schlüsselreize bzw. visueller Stimuli, die auf der einen Seite eine gewisse Allgemeingültigkeit zu besitzen scheinen, auf der anderen Seite aber auch von der jeweiligen Kultur und der Sozialisation aber auch von sozialen Schichten und Trends abhängen. Hinzu kommen diverse andere Abweichungs-Ursachen. 


Ästhetik in der Psychologie
Moderne naturwissenschaftliche Untersuchungen finden in der kognitiven Psychologie und den Neurowissenschaften (Neuroästhetik) statt. Die experimentelle Ästhetik ist hingegen tatsächlich das zweitälteste Forschungsgebiet der Psychologie. Gustav Theodor Fechner bezeichnete Ästhetik als einen erlebten bzw. erlebbaren Wert, der unter Berücksichtigung von Personen- und Objektmerkmalen empirisch fassbar ist.

 

Experimentelle Ästhetik

In der experimentellen Ästhetik wird das individuelle Erleben und Verhalten in Bezug auf ästhetische Vorstellungen, Reize und visuell-ästhetische Beurteilungsprozesse z.B. bei der Wahrnehmung von Menschen und Gegenständen, Musik und Websites untersucht. Dabei kommen die unterschiedlichsten Methoden zum Einsatz, zum Beispiel die Blickbewegungsregistrierung, die Messung mit der Augenbewegungskamera, die Elektroenzephalografie (EEG), die funktionelle Magnetresonanztomographie (MRT), Reaktionszeitmessungen, Paarvergleiche, Rangreihenmethoden, Likert-Skalen und natürlich statistische Gruppenvergleiche.

 

Aufschwung der Ästhetik-Forschung
In den letzten Jahren kam es zu einem Aufschwung der Ästhetik-Forschung in der Psychologie. Zum einen sind Fragen zur Ästhetik von wirtschaftlicher Bedeutung z.B. für Design und Produktmanagement, zum anderen entwickelt die Neuropsychologie neue Methoden. Hinzu kommt, dass es innerhalb der Kognitionspsychologie eine zunehmende Hinwendung zum Thema Affekt und Emotion gibt. So wurde vor kurzem von Leder, Belke, Oeberst und Augustin ein neues psychologisches Modell der ästhetischen Erfahrung veröffentlicht, das zentrale Verarbeitungsstufen der ästhetischen Erfahrung beinhaltet.

 

Allgemeingültigkeit ästhetischer Empfindungen
Es fällt zwar schwer, in Bezug auf ästhetische Empfindungen und Wertvorstellungen und einen absolut allgemeingültigen Wert zu vergeben, sehr wohl können aber bestimmte Bündelungen und Übereinstimmungen festgestellt werden.

 

Dennoch berichten mehrere Studien über große interindividuelle Unterschiede in der ästhetischen Beurteilung von visuellen Stimuli. So wurde z.B. bei der Beurteilung nach ihrem Schönheitsgrad mit Unterteilung bzw. Zuordnung in die Kategorien "schön", "hässlich" und "gleichgültig", mit dem Ziel, individuelle Modelle und Gruppenmodelle der Urteilsstrategien einzelner Personen mittels McCall-Tranformation zu berechnen, Schönheitsurteile und Eigenschaften von der Mustern miteinander in Beziehung gebracht. Die errechneten Urteilsmodelle der Versuchspersonen zeigten, dass ein positives ästhetisches Urteil in Verbindung mit Symmetrie stand. Bei Betrachtung der individuellen Urteile ließen sich jedoch Abweichungen feststellen. Teilweise wurden auch nicht symmetrische Muster positiv bewertet.

 

Auch die zeitliche Stabiltität ästhetischer Urteile wurde untersucht und die Ergebnisse zeigten, daß die Stabilität der Urteile mit größerer Zeitspanne abnahm. Zusätzlich gibt es eine Tendenz zu konsistenten Urteilen. In der vorbenannten Studie (Höfel & Jacobsen, 2003) wurden während der zweiten Testphase auch Wiederholungen durchgeführt. Die Probanden wurden gebeten, die dargebotenen Muster zweimal in Bezug auf ihren ästhetischen Wert einzuschätzen. Die EKP-Effekte der evaluativen Urteile (Ästhetik) nahmen im Vergleich zu den deskriptiven (Symmetrie) mit wiederholter Darbietung ab und glichen sich einander an. Folglich ist anzunehmen, dass hier nicht mehr ästhetische Urteile abgegeben wurden, sondern nun ein Abruf aus dem Gedächtnis erfolgte.

 

Hinzu kommt die Tatsache, dass bstimmte Begriffszuordnungen bestehen: Es wird davon ausgegangen, dass bei der Bildung von ästhetischen Urteilen die Dimension "schön"-"hässlich" prototypisch zugrunde liegt. Beispiel: In einer Studie von Jacobsen, Buchta, Köhler und Schröger wurden verbale Assoziationen zum Begriff "Ästhetik" gesammelt. Dort benutzten die Probanden das Wort "schön" in 91,6 % der Fälle, das Wort "hässlich" in 42,12 % der Fälle. Obwohl die genannten Assoziationen weitgefächert waren, brachte die Studie mit dem Wort "Schönheit" eine deutliche Übereinstimmung hervor.

Es liegt somit nahe, Probanden bzw. Testpersonen explizit nach konkreten Schönheitsurteilen zu fragen. In der Befragung in Bezug auf einen bestimmten Klienten und Aufschlüsse zu entsprechenden Schlüsselreizen können aber auch detaillierte individuelle spontane Eindrücke erfasst und ausgewertet werden.

 

Individualität ästhetischer Empfindungen
Trotz einiger messbarer Übereinstimmungen sind einige ästhetische Vorstellungen jedoch sehr individuell und persönlichkeitsspezifisch ausgeprägt. So gibt es z.B. eine allgemeine Vorstellung wie z.B. ein Auto unter ästhetischen Gesichtspunkten allgemein auszusehen hat, dennoch sind Design und Aussehen unterschiedlicher Automobile genauso unterschiedlich wie die Geschmäcker bzw. die individuellen Empfindungen der Käufer bzw. Eigentümer.  

 

Auch beim Menschen selbst: Je nach sozialisiertem Zeitgeist werden menschlichen Körperpartien/Körperteilen bestimmte  ästhetische Eindrücke zugeordnet und daraus subjektive Rückschlüsse auf die jeweilige Persönlichkeit und das eigene Empfinden abgeleitet. Darüber hinaus existieren gesellschaftliche Empfindungs-Trends.

 

Dennoch sind auch hier Geschmäcker - je nach Persönlichkeits-Typus - unterschiedlich. Was der eine als unästhetisch, ja sogar häßlich und eher abstoßend empfindet, findet eine andere Persönlichkeit hingegen schön und anregend, je nach individueller Wahrnehmung und Empfindung. Fetischisten bevorzugen z.B. andere und teilweise völlig entgegengesetzte ästhetische Empfindungen vor Empfindungen, die durch Gesellschaft, Medien und Marketing geprägt werden. Persönlichkeiten mit einer körperdysmorphen Störung finden sich oder einige Körperpartien an sich unästhetisch oder hässlich, obgleich dies andere nicht wahrnehmen bzw. anders sehen. 

Auswirkung der Präsentation auf das ästhetische Empfinden
Die Art und Weise, in der sogenannte Reize wahrgenommen werden (bewusst, gezielt, selbstbewusst dargestellt, angeworben etc. oder stattdessen zufällig, mit Schamgefühl und mangelndem Selbstvertrauen etc.) hat indessen einen großen Einfluss auf die Wertung dieser Reize und die im Gehirn entstehende Vorstellung. Ästhetisches Empfinden hängt somit auch davon ab wie uns bestimmte Reize (Menschen, Dinge, Eigenschaften etc.) präsentiert werden.

 

Eigenwerbung, Werbung und Marketing sind bei Berücksichtigung dieser Tatsache und gekonnter Nutzung bestimmter Techniken somit in der Lage, uns ein - der grundsätzlichen allgemeinen Auffassung nach - wenig ästhetisches und eigentlich schäbiges Produkt so zu präsentieren, dass wir dies tatsächlich als schön empfinden. In der Kunst wird dies besonders deutlich und es ist bekannt, dass ein an einer Wand klebender Fliegendadaver oder ein Haufen Hundekot mit dem richtigen Rahmen, der entsprechenden Kunstpräsentation, der richtigen Vernissage-Einweihungs-Stargast-Rede und der entsprechender Medien- und Öffentlichkeit zu einem Kunstwerk von unschätzbarem Kultur- und Geldwert stilisiert werden kann und in der Wahrnehmung manipulierter oder sozialisierter Menschen von "ekelig und hässlich" zu "schön, sehenswert und wertvoll" mutiert.