Hintergrundwissen "Überlegenheitsillusion", "Überlegenheitsfehler", "Lake Wobegon-Effekt"

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Einleitung
Die Überlegenheitsillusion - auch Lake Wobegon-Effekt genannt - zählt wie der Selbstwert-Effekt / Social-Cognition-Effekt und der
Overconfidence-effect / Overconfidence-barrier-effect zu den selbstwertdienlichen Verzerrungen im Rahmen der Selbstwirksamkeitserwartung und basiert somit auf auf einem Wahrnehmungs- und Beurteilungsfehler.

 
Die Überlegenheitsillusion gehört zu den praktischen selbstwertdienlichen Verzerrungen, mit denen wir uns selbst schön reden und aufwerten. Sie hilft uns, ein positives Selbstbild zu entwickeln und zu behalten, was dazu führt, dass wir uns gut bzw. besser fühlen. Aufgrund der Illusion können wir aber auch genauso gut "vor die Pumpe laufen". Wie auch immer: Wir merken es erst, wenn es zu spät ist - und selbst dann wirkt die Verzerrung, die unserem Selbstwert dient weiter.

 

Was besagt der Effekt?
Kurz formuliert, besagt der Effekt, dass die eigenen Fähigkeiten überschätzt werden. Der Effekt bezeichnet die Tatsache, dass Menschen ihre eigenen Fähigkeiten (insbesondere bestimmte eigene Fähigkeiten) für überdurchschnittlich halten. Besonders interesssant ist hierbei die Tatsache, dass Menschen ihre eigenen Fähigkeiten umso stärker überschätzen, je schlechter diese in Wirklichkeit sind. Dies wird auch als Dunning-Kruger-Effekt bezeichnet.

 

Der Effekt zählt zu den selbstwertdienlichen Verzerrungen (self-serving bias), die in der Sozialpsychologie die Tendenz beschreiben, eigene Erfolge im Zweifelsfall eher den eigenen Fähigkeiten und Fertigkeiten und eigene Misserfolge eher äußeren Ursachen zuzuschreiben. Beispiel: So ist die Mehrzahl der Autofahrer davon überzeugt, besser zu fahren als der Durchschnitt. Auch bei Intelligenztests schätzen sich Teilnehmer häufig falsch ein.

Der Effekt der Überlegenheitsillusion beschreibt ein Vorurteil, das uns dazu verleitet, unsere Stärken im Vergleich zu anderen überzubewerten bzw. maßlos zu überschätzen. Bei dem Effekt handelt es sich - wie der Name sagt - um eine reine Illusion, die uns aber natürlich glaubwürdig erscheint, so glaubwürdig, dass wir nicht daran zweifeln.

Wie wirkt die Illusion: In unserer eigenen Wahrnehmung schätzen wir uns im Vergleich zu anderen immer überdurchschnittlich intelligent, befähigt, attraktiv oder beliebt ein. Der Effekt führt nicht nur dazu, dass wir uns selbst völlig überbewerten, sondern alle anderen unterbewerten und zugleich abwerten.

 

Wer meint, genau das nicht zu tun, gehört vermutlich zu denen, die in Wirklichkeit wirklich gut sind. Der Effekt erfolgt nämlich nach dem einfachen Prinzip:
Je schlechter wir in Wirklichkeit sind, desto besser schätzen wir uns ein.
Umgekehrt gilt dies ebenfalls: Je besser wir sind, desto kritischer sehen wir unsere eigenen Fähigkeiten und werten diese sogar herab.

 

Je niedriger der IQ eines Menschen bzw. je schwächer eine bestimmte Fähigkeit ausgeprägt ist, desto mehr neigt derjenige dazu, seine Intelligenz bzw. die betreffende Fähigkeit zu überschätzen. Insbesondere die Dümmsten halten sich für die Klügsten. Daher kommt vermutlich auch der Spruch: "Der dümmste Bauer hat immer die dicksten Kartoffeln".

 

Das ist auch der Grund, warum wir viele Menschen beobachten können, die sich in unseren Augen in irgendeiner Art und Weise geradezu lächerlich machen oder gar schamlos wirken. Diese Menschen finden sich aber selbst grandios. Zugleich ist das ein Grund, warum besonders intelligente Menschen in der Gesellschaft untergehen oder sogar Probleme bekommen. Derartige Probleme beginnen bereits in der Schule und betrifft zumeist die Hochbegabten ganz besonders.

 

Probleme haben aber auch deshalb jene, die wirklich überaus attraktiv sind oder irgendetwas besonders gut können. Diese Menschen sehen das oft anders und halten sich im Vergleich zu anderen eher zurück. Wahrgenommen werden mehr jene Menschen, die gegenteilig veranlagt sind: Sie sind wesentlich selbstbewusster und großspuriger, treten eher in Aktion bzw. in die Offensive. Schließlich gilt die Regel: "Wer am wenigsten ist und kann, hat die größte Klappe." Tatsächlich halten sich gerade unattraktive Menschen für besonders attraktiv, während sich umgekehrt besonders attraktive Menschen oftmals für weniger attraktiv oder sogar häßlich halten. Das Gleiche gilt für Beliebtheit, Befähigungen usw.

 

Das ist u.a. auch der Grund, warum in Unternehmen gerade die am wenigsten geeigneten Kandidaten auf Einstellung oder Beförderung drängen. Je höher und hochwertiger eine Stellenausschreibung bzw. Stellenbeschreibung formuliert ist,
desto höher die Tatsache (und zugleich Gefahr), dass sich die Schlechten bewerben oder unfähige Mitarbeiter einen Anspruch darauf erheben. Das gleiche Prinzip gilt in der Wirtschaft und in der Politik und in der Kunst. Herausragende Künstler wurden oft erst nach ihrem Ableben als solche erkannt und berühmt, während viele zu ihren Lebtagen ein eher kümmerliches Dasein fristeten.

 

Auch vor Gericht wird viel Aufwand und Geld verloren, weil - entgegen den Empfehlungen ehrlicher Juristen - die Erfolgsaussichten vieler Klagen bzw. Anträge von vorne herein überschätzt werden. Viele Kläger sind dermaßen stark davon überzeugt, im Recht zu sein, dass sie selbst bei größter Aussichtlosigkeit auf Erfolg, niemand davon abhalten kann, den Rechtsweg zu beschreiten und bis zum bitteren Ende fortzusetzen - um dann sogar noch in Berufung zu gehen. Zugleich ist der Effekt ein "gefundenes Fressen" für Anwälte, die weniger moralisch-ehrlich als mehr geschäftsorientiert denken. Sie brauchen nicht viel dafür zu tun, um ihre Mandanten zum Rechtsstreit zu bewegen. Umgekehrt ist der Aufwand höher und ggf. sucht sich ein Mandant, welcher der Überlegenheitsillusion verfallen ist, gleich einen neuen Anwalt, der möglichst zurät.

 

Die Überlegenheitsillusion bezieht sich auf sämtliche alltägliche Lebensbereiche, nicht aber auf besondere Situationen und Aufgaben, die als besonders schwierig gelten. Hier kehrt sich der Effekt um und wir neigen dann plötzlich dazu, unsere eigenen Fähigkeiten völlig zu unterschätzen. So war es zumindest früher. Die Medien wie auch Computerspiele konfrontieren uns jedoch mittlerweile mit so vielen Situationen und Aufgaben, dass die Umkehr des Effektes sozialisationsbedingt immer mehr abnimmt.

 

Wer am Computer einen Düsenjet fliegen kann, traut sich das dann auch oft im wahren Leben zu. Dies kann insbesondere bei Jugendlichen beobachtet werden, die einen Großteil ihrer Freizeit mit derartigen Medien verbringen. Sie halten sich dann irgendwann auch in der Realität für "Supermann" oder den gerechten überlegenen Rächer, der dann - sofern er eine Waffe in Besitz bekommt - dann auch nicht zwingend davor scheut, einen Amoklauf in seiner Schule zu veranstalten und dabei viele Menschen zu töten - und das mit völligem Selbstverständnis und ohne Hemmung oder Angst.

 

Selbstüberschätzung kann (z.B. über das Phänomen der Selbsterfüllenden Prophezeiung) zu mutigen Taten und außergewöhnlichen Leistungen anspornen.
Sie kann aber auch großen Schaden anrichten z.B. wenn wir uns selbst für außergewöhnlich begabte Gesangstalente halten und dann mutig bei Dieter Bohlens DSDS Jury vorsprechen und uns im Fernsehen öffentlich blamieren.

Viel schlimmer steht es aber um das Autofahren: Ein Großteil an Verkehrsunfällen passiert deshalb, weil sich die Fahrer für sicher und überlegen und sogar für besonders gute Autofahrer halten oder sie ihr Auto besonders sicher, gut und überlegen einschätzen. Dieser Wahrnehmungsfehler verleitet Autofahrer zu hohem Tempo und zu riskanten Überhol- und Auffahr-Manövern. Ebenso verleitet er Fußgänger und Radfahrer zu riskantem Verhalten (z.B. Ignorieren roter Ampeln). Rote Ampeln empfinden sie als unnötige Bevormundung durch den Staat, schließlich haben sie selbst zwei Augen im Kopf, um Gefahren durch heranfahrende Autos rechtzeitig zu erkennen. Das meinen sie zumindest. Dabei gilt das Prinzip: Je schlechter die eigene Wahrnehmung, desto höher die Selbstüberschätzung.

Die Wirkung der Selbstüberschätzungs-Illusion bekommen auch Polizeibeamte zu spüren, nicht nur bei schweren Straftaten und dem immer respektloseren Verhalten von Bürgern ihnen gegenüber, sondern bereits bei einer normalen Verkehrskontrolle. Selbst wenn Verkehrssündern per Video-Aufzeichnung erläutert wird, dass sie um ein Wesentliches schneller waren, als erlaubt, empfinden das viele Verkehrssünder als regelrechte Schikane. Sie reagieren genervt, überheblich und geradewegs großspurig und entgegnen, dass der Vorwurf überzogen und das Verhalten der Polizei geradewegs lächerlich sei, zumal sie selbst alles im Griff hätten. Viele, die so etwas nicht äußern, denken sich so etwas zumindest. Ein Bußgeld kann und wird sie nicht daran hindern, sich weiter zu überschätzen und das nächste mal das gleiche Verhalten an den Tag zu legen. Schließlich merken sie nicht, dass sie einer Illusion zum Opfer gefallen sind und ihr Denken ist nach wie vor das gleiche.

 

Die Überlegenheitsillusion ist auch die Basis für Morde trotz hoher Strafandrohung durch die Gesetzgebung: Mörder gehen zum Zeitpunkt ihrer Tat davon aus, dass sie nicht gefasst werden. Insofern stellt die Überlegenheitsillusion den Effekt der Abschreckung durch Strafe in Frage.

 

Wie bei anderen Wahrnehmungs- und Beurteilungsfehlern auch fällt es uns selbst leider sehr schwer, zu erkennen, dass wir einer Illusion zum Opfer gefallen sind. Ähnlich einem Wahn sind wir so felsenfest von der Richtigkeit unserer Einschätzung bzw. Annahme überzeugt, dass wir uns von niemandem davon abbringen lassen und selbst wissenschaftlich bewiesene Erkenntnisse negieren.

 

Wenn wir glauben, ein guter Sänger zu sein, kann selbst eine hundertköpfige Jury bestehend aus Gesangs-Profis uns nicht davon abbringen, daran zu glauben, dass wir gut sind. Stattdessen denken wir: Alle anderen sind "doof", zumindest haben sie "keine Ahnung" oder "heute einen schlechten Tag". Deshalb machen wir weiter. Wir suchen uns "einfach" eine andere Jury, gehen zu einer anderen Casting-Show oder stellen uns beim nächsten mal gleich wieder vor. Dann ist die Jury nicht mehr so "blind" wie jetzt.

 

Neben dem Überlegenheitsfehler gibt es auch den Unterlegenheitsfehler.
Weitere Infos zum Verhalten im Rahmen der Überlegenheitsillusion und zur Problematik finden Sie
hier. (Detail-Infos)

 

Auf dem Prinzip der Überlegenheitsillusion basiert der Overconfidence-effect,

auch Overconfidence barrier-effect genannt. Detail-Infos

Der Effekt ist auf viele Lebens- und Arbeitsbereiche übertragbar z.B. das Management und Risikomanagement in Unternehmen. Hier werden positive Abweichungen vom Plan stets den eigenen Fähigkeiten zugeschrieben, negative Planabweichungen hingegen äußeren Einflüssen zugeschrieben. Dann ist der Markt schuld, die Wirtschaftslage, die Wettbewerber oder die Politik. Manchmal sind es sogar einfach nur die Kunden, die schuld sind. Stets sind es alle anderen, die schuld sind, man selbst aber nicht. Führungskräfte sind zumeist der selbstsicheren Überzeugung, alles voll im Griff zu haben, selbst dann, wenn nachweislich das Gegenteil wahr ist.

 

Bei Bewerbern ist das ähnlich: Wenn eine Bewerbung keinen Anklang findet, dann ist der Arbeitsmarkt schuld oder das Unternehmen, bei dem man sich beworben hat, doof. Man selbst geht davon aus, keinen Fehler zu machen. Es sind sogar Fälle bekannt, in denen Bewerber explizit darauf hingewiesen wurden, dass ihre Bewerbung nicht nur nicht aussagefähig, sondern sogar negativ sind. Das Ergebnis: Ein Jahr später "trudelt" die gleiche Bewerbung wie früher auf den Tisch des Personalentscheiders - nach einem Jahr Arbeitslosigkeit. In vielen Fällen ist er Verlust eines ganzen Jahreseinkommens immer noch nicht ausreichend, den Fehler bei sich zu suchen und etwas zu optimieren.

Hintergrund zum Begriff "Lake Wobegon-Effekt"
Lake Wobegon ist ein fiktives Dorf im ebenso fiktiven Mist County in Minnesota, in dem alle Frauen stark, alle Männer gutaussehend, und alle Kinder überdurchschnittlich sind. Bekannt wurde das Dorf durch den US-amerikanischen Schriftsteller Garrison Keillor, der den Alltag im provinziellen Mittelwesten auf liebevolle Art und Weise "aufs Korn" nimmt.

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